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Ganz oder gar nicht (German Edition)

Ganz oder gar nicht (German Edition)

Titel: Ganz oder gar nicht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Häusler , Lothar Matthäus
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in Köln gegen Wales. Angefangen mit diesem Treffer verlief alles, wirklich alles, nur noch so, als hätte uns ein großer Regisseur das Drehbuch für ein Jahrhundertepos geschrieben.
    Unser Trainingslager schlugen wir in Kaltern in Südtirol auf. Wir fühlten uns dort sehr wohl, und die Mannschaft war von Anfang an ein eingeschworener Haufen. Wir hatten über Jahre zueinander gefunden. Das ist wahrscheinlich kaum jemandem aufgefallen: Im WM-Finale standen fünf Spieler, die zehn Jahre vorher in der U21-Nationalmannschaft zusammen gespielt haben: Völler, Littbarski, Brehme, Buchwald und ich. Das ergab ein starkes Fundament – nicht nur auf dem Platz. Wir waren sehr eng. Und wir kümmerten uns auch um die Jungen wie Andy Möller. Es wurde keiner ausgegrenzt. Es gab Spieler wie Frank Mill oder Paul Steiner, die nicht eine Minute gespielt haben, aber zufrieden waren, weil sie akzeptierter und respektierter Teil der Mannschaft waren.
    Die Harmonie hielt sich über das gesamte Turnier, von Kaltern über Mailand und Turin bis Rom. Franz Beckenbauer hatte daran großen Anteil. Er ließ uns Freiheiten, sperrte uns nicht ein, sondern nahm uns selbst in die Verantwortung. Man musste sich nicht heimlich wegschleichen, um bestimmte Dinge zu erledigen. Wir haben Grillabende veranstaltet, die nicht jeder unter 0,8 Promille beendete. Grillabende sind nun mal nichts für Freunde des Sprudelwassers. Diese Momente haben wir genossen, aber wir haben nie vergessen, warum wir da waren.
    Unser Hauptquartier lag nur sieben Kilometer von meinem Wohnort entfernt. Wir bezogen ein romantisches Schloss, dessen Grundmauern auf das 10. Jahrhundert zurückgehen. Das Castello di Casiglio bei Erba war viele Jahrhunderte Sitz der einflussreichen italienischen Familie Parravicini und wurde in den 1980er Jahren liebevoll renoviert. Es lag inmitten einer verwunschenen Parkanlage. Man hatte uns rechtzeitig einen Swimmingpool und einen kleinen Fußballplatz aufs Gelände gebaut, um uns als Gäste zu gewinnen. Es war ein ideales Quartier. Der DFB hat sich mächtig ins Zeug gelegt und erfüllte uns jeden Wunsch, kümmerte sich um Tickets, besorgte uns Zeitungen und Videofilme. Ich hatte außerdem mein Auto dabei, einen roten Peugeot Cabrio, der uns Spielern Mobilität garantierte. Der Schlüssel steckte immer, er war die Hure für jeden.

FAVORIT IM EIGENEN WOHNZIMMER
    Was für ein glücklicher Umstand, dass die WM nicht nur in dem Land, in dem ich lebte und arbeitete, über die Bühne gehen sollte, sondern wir die ersten fünf Spiele in meinem Wohnzimmer spielen durften, dem San-Siro-Stadion von Mailand. Das gab zumindest mir zusätzliche Sicherheit. Und ich denke, dass auch Andy Brehme und Jürgen Klinsmann davon profitierten, Jürgen war ja ebenfalls zu Inter gewechselt. Da wir drei Deutschen von den Inter-Fans bejubelt, verehrt und hofiert wurden und auch die Anfahrtswege für die deutschen Fans nicht so beschwerlich waren, hatten wir quasi Heimspiele. Und nicht nur das spielte uns in die Karten. Neben uns Mailändern kickten zu dieser Zeit ja noch einige andere Deutsche in der italienischen Liga: Jürgen Kohler, Rudi Völler, Thomas Berthold, und Thomas Häßler stand kurz vor seinem Wechsel. Italien erlebte seine deutsche Phase. Uns begleitete ein Gewinner-Image. Weil alle sechs Legionäre ihre volle Leistung brachten, nannten uns die Gazetten respektvoll »Il Panzer«. Die psychische Stärke, die wir alle durch den Wechsel ins Ausland erfahren durften, hatte einen großen, wichtigen, entscheidenden Einfluss auf unsere Dominanz bei dieser Weltmeisterschaft.
    Mit dem 4:1 gegen Jugoslawien gelang es uns sofort, für Ruhe und Respekt zu sorgen. Mit diesem ersten nachhaltigen Auftritt wurden wir zum Favoriten des Turniers, ich machte mit zwei Toren vielleicht mein bestes Länderspiel von insgesamt 150, und wir alle fühlten uns bereit, nach 16 Jahren wieder Weltmeister zu werden. Wir spielten von Beginn an überragend und hatten dadurch intern eine klare Hierarchie, die Erfolg versprach. Es lief. Selbst die Journalisten schafften es dieses Mal nicht, für Unruhe zu sorgen.
    Das zweite Match gegen die Vereinigten Arabischen Emirate musste ein Pflichtsieg sein, und wir gewannen das Regenspiel tatsächlich ungefährdet mit 5:1. Wir standen als Gruppensieger fest, sodass das letzte Vorrundenspiel gegen Kolumbien nur eins für die Statistik war. Dass die Kolumbianer in der letzten Minute noch den 1:1-Ausgleich erzielten, scherte uns wenig. Für die

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