Ganz oder gar nicht (German Edition)
einen Journalisten, aber er durfte in Argentinien Nationaltrainer werden. Ich griff weder zu Rauschmitteln noch zu einer Knarre. Doch mir blieb ein solches Amt bisher verwehrt. Es mag eine Mentalitätsfrage sein. In Deutschland sucht man die Probleme. Und wo man Schmutz in einem frisch geputzten Raum sucht, findet man immer einen Krümel. Wenn er nicht da ist, hilft man nach und schmeißt ihn hin. Das ist Deutschland. In anderen Ländern sind die Menschen stolz auf ihre Idole, in Deutschland versucht man, jede Möglichkeit zu nutzen, diese Idole schlechtzumachen. Das ist nicht nur bei mir so. Als Idol wird man hier für viele Dinge belächelt. Im Ausland bleibst du Idol.
Michael Schumacher lebt im Ausland. Steffi Graf lebt im Ausland. Boris Becker lebt im Ausland. Franz Beckenbauer lebt im Ausland. Ich lebe im Ausland. Warum? Wie viele Sportstars haben wir? Wo sind die? Die großen Namen leben im Ausland, weil sie es hier irgendwann leid geworden sind. Ich bin gerne in Deutschland, und irgendwann werde ich auch wieder zurückkommen. Aber was sich einige Journalisten hier leisten, hat nichts mehr mit dem Fairplay zu tun, nach dem ich erzogen worden bin.
Heute Morgen ruft mich ein Journalist an und sagt mir, dass meine Exfrau in einer österreichischen Zeitung erzählt hätte, dass ich meiner aktuellen Freundin einen Heiratsantrag gemacht hätte. Ich habe mit dieser Exfrau seit einem Jahr nichts mehr zu tun. Woher will sie so etwas wissen? Wegen so einem Mist werde ich angerufen, und es steht im Internet, im Teletext und im Vermischten in der Tageszeitung. Nur weil sich jemand profilieren will. Wo sind wir eigentlich? Mein Problem hier in Deutschland ist, dass der Journalist schreiben kann, was er will.
MEUTEREI AUF MALLORCA
Mein Abschiedsspiel, aus dessen Einnahmen ich 600000 Mark an wohltätige Organisationen spendete, war Teil der Vorbereitung auf die Europameisterschaft 2000. Nun dauerte die Party bis in die frühen Morgenstunden, doch schon um zehn Uhr ging für die Nationalmannschaft der Flug ins Trainingslager auf Mallorca. Nicht weiter schlimm. Schlimm war etwas anderes. Trotz des Abschiedsspiels und der Party – sie war mit Nationaltrainer Ribbeck abgesprochen – zog Co-Trainer Horst Hrubesch am nächsten Tag eine komplette Trainingseinheit durch. Ein schwerwiegender und nachhaltiger Fehler. Viele von uns waren müde, aber Hrubesch ließ uns auf dem halben Platz gegeneinander antreten, was in der 80. Minute dazu führte, dass mir der rechte Oberschenkelmuskel riss. So hatte ich mir den Auftakt zu meinem letzten großen Turnier nicht vorgestellt. Eigentlich hätte ich zu Hrubesch sagen müssen, dass ich unter diesen Umständen nicht in dem von ihm geplanten Maße mittrainieren werde. Nun hatte ich den Salat.
Folgender Negativfaktor kam hinzu: Durch meinen Wechsel nach Amerika einige Wochen zuvor hatte ich meine Hausmacht bei Bayern München und damit in der Nationalmannschaft verloren. Das heißt, dass ich an die, die mir vorher in den Arsch gekrochen waren, um in der Nationalelf von mir zu profitieren, nicht mehr herankam. Das waren Didi Hamann, Markus Babbel, Jens Jeremies und Thomas Linke. Vor allem Linke ist seinem Namen gerecht geworden. Wir saßen nicht mehr in einem Boot. Erich Ribbeck jedenfalls hielt trotz Verletzung an mir fest. Während sich die anderen auf Mallorca vorbereiteten, wurde ich rund um die Uhr behandelt.
Als ob das nicht schon genug Störgeräusche gewesen wären im Vorfeld einer EM, entwickelte sich auf Mallorca eine gefährliche Stimmung gegen Erich Ribbeck. Das ist noch untertrieben formuliert. Es kam zu einer Meuterei. Einige Unzufriedene wollten Ribbeck stürzen. Ein Mitspieler kam zu mir und sagte sinngemäß: »Lothar, ruf bitte den Franz an und sage ihm, wie unprofessionell Erich Ribbeck hier trainiert.« Es folgte ein ungeheurer Vorschlag, auf den noch nicht einmal ich selber gekommen wäre. Nachdem Ribbeck abserviert worden wäre, sollte ich den Thron des Bundestrainers besteigen. Wie bitte? Diejenigen, die sich mir gegenüber als Opportunisten entpuppt hatten, wollten mich plötzlich zum neuen Chefcoach putschen? Natürlich kann man über Trainingseinheiten streiten, natürlich hätte man mehr Taktik trainieren können. Aber letztlich war Ribbeck ein Trainer der alten Schule. Ihm ging es in erster Linie um eine gute Atmosphäre. Er ließ die Leine lang und wurde gnadenlos ausgenutzt. Ich erlebte Ribbeck als herzensguten Menschen – eigentlich zu gut für diesen
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