Ganz oder gar nicht (German Edition)
Angehörigen das Beileid auszusprechen. Es war sehr traurig – und sehr kalt. Die Kirche platzte aus allen Nähten, der Wind blies über diese freie Anhöhe, und ich fror mich in meinen dünnen Halbschuhen zwischen den anderen Trauernden halb tot.
In Budapest fühlte ich mich sofort heimisch. Ich knüpfte Kontakte, besuchte Hallenturniere, um mit den Trainern und Vereinsbossen ins Gespräch zu kommen, reiste dann mit dem Start der Rückrunde jedes Wochenende zu Ligaspielen, um vor allem neue, junge Spieler zu beobachten. Die Nationalmannschaft brauchte einen Altersschnitt. Und nicht nur das: Sie sollte international wieder sichtbar sein. Ich nahm mir vor, diese Truppe, die vor fünfzig Jahren zu den besten der Welt gehört hatte, endlich auch wieder gegen die besten Mannschaften der Welt spielen zu lassen. Dass Deutschland oder Italien für ihre Testspiele starke Gegner bekommen, ist selbstverständlich. Aber Ungarn? Es waren meine jahrelang gepflegten Kontakte, durch die wir zu Freundschaftsspielen gegen Brasilien, Argentinien, Frankreich, gegen den amtierenden Europameister Griechenland, gegen China, Japan oder Mexiko antreten konnten. Ohne den Namen Matthäus wäre da nichts passiert. Das Spiel gegen die Deutschen allerdings hatte bereits im Terminkalender gestanden.
Neben der Rückkehr ins sportliche Rampenlicht profitierten die Ungarn auch finanziell von meinem Engagement. Der Verband konnte Hunderttausende Euro an Antrittsprämien einstreichen und stand plötzlich auch wieder auf der Agenda großer internationaler Firmen, denen der ungarische Fußball bis dahin gleichgültig gewesen war. Es kam zu Sponsorenabschlüssen mit Adidas, McDonald’s, LG oder Bet and Win, die jeweils rund eine Million Euro einbrachten.
Einen anständigen Mannschaftsbus hatten die Ungarn vorher genauso wenig gekannt. Das führte dazu, dass meine Spieler während eines Trainingslagers sich auf vier Reisebusse verteilten, die vor dem Hotel standen. Der eine saß im grünen, der andere im roten, der nächste im blauen und wieder andere im gelben Bus. Sie fuhren immer in neutralen Bussen und hatten die Orientierung verloren. Nach diesem skurrilen Erlebnis ließ ich durchrechnen, wie viel der Verband für die Miete der Reisebusse pro Jahr investierte. Man kam auf 65000 Euro. Ich rief bei Mercedes in Mannheim an, wo die Busse verkauft wurden, und erkundigte mich, ob man dem ungarischen Fußballverband nicht ein Mietangebot für einen gebrauchten Bus machen könne. Man bot uns für 3000 Euro im Monat einen modernen schneeweißen Wagen an. Schon mal eine Einsparung von rund 30000 Euro. Hinzu kam, dass wir nicht nur die ungarische Flagge effektvoll auf dem Bus anbringen lassen, sondern auch unseren Sponsoren die Möglichkeit bieten konnten, Werbung zu buchen. Eine Win-Win-Situation für alle.
Die fußballerischen Gipfeltreffen bahnte ich nicht nur an, ich handelte auch die Deals aus. Die Brasilianer beispielsweise forderten eine garantierte Antrittsprämie von einer Million Euro. Ich konnte die Summe auf 800000 Euro drücken, aber auch diese Summe musste erst einmal organisiert werden, mein Verband war ja quasi pleite. Ich ging zu einem Banker und bekam es hin, dass er das Geld ohne Sicherheiten rausrückte. Die Sicherheit waren die Brasilianer selbst. Der Verband wehrte sich zuerst dagegen, weil man das Risiko als zu hoch einschätzte. »Und wenn es regnen sollte?«, befürchteten sie. Ich erwiderte: »Bevor der erste Regentropfen fällt, haben wir längst alle Tickets verkauft.« »Oder wenn die Brasilianer mit der zweiten Mannschaft auflaufen?«, wendeten sie ein. »Nein«, sagte ich, »das wird nicht passieren. Die wollen alle für ihr Land spielen. Die werden mit Ronaldinho, Kaká und allen anderen anreisen.«
Hinzu kam, dass das baufällige Nationalstadion in Budapest nur für 27000 Menschen freigegeben war. Wir sprachen mit der Regierung, bekamen grünes Licht, den oberen Rang aufzumachen, sofern wir rechtzeitig Stützen einziehen. Plötzlich fasste das Stadion 45000 Zuschauer. So war auch das geregelt. Die Ticketpreise, die Vermarktung, all das lief über mich. Innerhalb von nur fünf Wochen ging alles über die Bühne. Ergebnis: Das Stadion war ausverkauft, und ganz nebenbei waren für den Verband sogar noch 700000 Euro übrig. Das ist Business. Ich war nie nur Trainer, ich habe auch immer organisiert. Weil ich es konnte.
Einen Fehler habe ich im Zuge des Brasilienspiels allerdings gemacht. Am Tag vor dem Showdown
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