Gassen der Nacht
Hände zu Fäus ten und spürte den kalten Schweiß auf meiner Haut. Dennoch war ich vorsichtig, als ich die Tür öffnete. Niemand sollte mich überraschen können, aber es war auch keiner da, der im Hausflur auf mich lauerte.
Im ganzen Haus war es sehr still, was mich wiederum bei einem vierstöckigen Gebäude wunderte. Es gab zwar kein Klingelbrett mit den Namen der Mieter, doch es war sehr unwahrscheinlich, daß hier niemand wohnen sollte.
Oder wußten die Bewohner Bescheid? Spürten sie etwas von der Angst, die hier lauerte?
Ich ging auf die Haustür zu und wollte sie schon öffnen, als ich hinter mir ein Geräusch hörte.
Blitzschnell fuhr ich herum und ging dabei gleichzeitig einen Schritt zur Seite. Nichts war zu sehen.
Aber das Geräusch hatte ich gehört und mir nicht etwa nur eingebildet. Ich dachte über seinen Klang nach. Es hatte durchaus sein können, daß Metall gegen Metall geschlagen war und dieses seltsame Klingeln erzeugt hatte.
Im Hausflur nicht, an der Treppe auch nicht. Welche Möglichkeiten gab es noch?
Ich drehte den Kopf etwas nach links und schaute gleichzeitig nach vorn. Die zweite Tür. Der Eingang zur Wohnung des Händlers. Das war möglicherweise die Lösung.
Ich saugte die Luft durch die Nasenlöcher ein. Kalte Schauer legten sich auf meinen Rücken.
Diesmal verließ ich mich auf die Beretta, als ich mich mit vorsichtigen Schritten der zweiten Tür näherte. Sie war geschlossen, ich drückte sie auf.
Erst vorsichtig, dann rammte ich sie mit einem Fußtritt nach innen. Ich schaute in den Raum, ich sah die Kreuze, die Einrichtung, ein offenes Fenster, ich lief hin, und das genau war mein verdammter Fehler. Den Schatten an der rechten Seite sah ich zwar, allerdings sehr spät und nur aus dem rechten Augenwinkel. Man hatte mir eine Falle gestellt, das offene Fenster hatte demjenigen, der sich hier aufhielt, nicht als Fluchtweg gedient, denn der andere hatte im toten Winkel gestanden und auf mich gelauert.
Er schlug zu.
Was es war, sah ich nicht. Irgendein langer und harter Gegenstand, der mich am Kopf erwischt hätte, wäre ich nicht im letzten Augenblick noch weggetaucht.
Er traf meine Schulter.
Eine Keule, ein harter Sandsack? Die Gedanken zerplatzten vor meinen Augen, so wie die Kreuze sich im Feuerwerk auflösten; als es mich zu Boden drosch. Ich fiel gegen den Tisch, warf ihn um und drückte ihn dabei etwas zurück, was mein Glück war, denn der zweite Hieb traf mit einer ungeheuren Wucht nur die Kante des Tisches.
Ich prallte hart auf und rollte mich herum. Die Beretta hielt ich noch in der rechten Hand, aber diese war durch den Schlag gegen die Schulter taub geworden.
Ich wollte mich zur anderen Seite werfen, als ich den Schatten abermals sah. Diesmal hetzte er zum offenen Fenster. Dabei hörte ich den Mann fluchen. Zumindest war es kein Werwolf, sondern ein Mensch. Damit war mir zwar auch nicht geholfen, doch dieser Mensch nahm seine Chance nicht wahr.
Er floh.
Die Öffnung war groß genug, um mit einem Sprung hindurchzuhechten. Ich hörte noch seinen Aufprall, dann war ich allein, hockte neben dem umgestürzten Tisch und verfluchte mich selbst.
Wer aber war der Kerl gewesen? Hatte Semerias hier noch einen Helfer im Haus? Oder war es nur ein Einbrecher gewesen? Vor den Kreuzen jedenfalls hatte er keine Furcht gezeigt, die hingen nach wie vor an den Wänden.
Erst jetzt spürte ich den Schmerz, aber es gelang mir, die Hand zu bewegen. Das wiederum bedeutete, daß mich der Gegenstand wohl mehr gestreift als voll getroffen hatte.
Ich rappelte mich hoch und dachte daran, daß ich jetzt nicht nur einen, sondern mindestens zwei Gegner hatte. Diese Nacht geizte nicht mit bösen Überraschungen…
Vollmond!
Er war der Gebieter der Nacht, er schickte sein fahles Licht in jeden Winkel, in jede Nische und leuchtete gegen die Fenster der Wohnungen, in denen die Menschen lebten.
Viele gab es, die sich vor dem Vollmond fürchteten, denn sein Licht und seine Strahlen brachten sie durcheinander und veränderten ihr Verhalten.
Er verursachte schwere Schlaflosigkeit, da war die Kurve des Biorhythmus gestört, da reagierten Menschen auf Kleinigkeiten völlig anders als sonst.
Manche wurden aggressiv, drehten regelrecht durch, andere wiederum verfielen in eine starke Lethargie und taten überhaupt nichts mehr. Der Schein des Mondes vergrößerte eben kleine Unterschiede zu sehr breiten Gräben.
***
Auch Paula Devine gehörte zu den Menschen, die unter dem Vollmond litten.
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