Gast im Weltraum
Lächeln. Unsere Begegnungen wurden kompliziert. Ich versuchte, ihre Ruhe und Ausgeglichenheit mit Ruhe zu erwidern; aber es wurde Gleichgültigkeit daraus. Dann bemühte ich mich, mit jener erzwungenen Offenheit aufrichtig ihr gegenüber zu sein, die lediglich eine flüchtige Stimmung zu bekennen hat. Ein andermal wieder sprach ich sogenannte „tiefe“ Gedanken aus, schmiedete Pläne für unsere gemeinsame Zukunft, Gewiß, sie hörte mir aufmerksam zu. Doch in ihrem Lächeln war ein Fünkchen Ironie, als nähme sie weder meine Worte noch mich selbst ernst. Unser Gespräch lahmte, schleppte sich dahin, brach schließlich ab. Ich mußte mich anstrengen, um es wieder in Fluß zu bringen, und das ärgerte mich. Ich fühlte mich wie auf Flugsand. Es war, als müßte ich jedesmal aufs neue jene Anna suchen und entdecken, die ich in der Nacht nach der Neunten Sinfonie von Beethoven kennengelernt hatte. Ich mußte, um mich ihr zu nähern, einen unsichtbaren, nur spürbaren Widerstand überwinden, der, wie mir schien, weder in ihr noch in mir lag, sondern sich zwischen uns aufrichtete.
Ich fragte sie einmal: „Fühlst du dich wohl bei mir?“
„Nein“, antwortete sie. „Aber ohne dich fühle ich mich auch nicht wohl.“
Ich gewann sie von Tag zu Tag lieber. Gern sah ich ihr zu, wenn sie am Morgen das Frühstück bereitete. In einem lose fallenden, hellen Morgenrock, mit vom Schlaf wirrem Haar, beugte sie sich über die Gläser und mischte die Obstingredienzien mit einer Sammlung und Andacht, die eines Magiers des Altertums oder eines Alchimisten würdig gewesen wäre. „Anna aus den Sternen“ nannte ich sie, verschwieg aber, daß diese Assoziation durch den Kontrast mit der „irdischen Anna“ entstanden war. Sie war und ist schön. Auf der Erde begegnet man Landschaftsbildern ganz gleich, ob es sich um majestätische Ansichten oder um Bilder stiller Schönheit handelt –, die den Eindruck erwecken, als hätte die Natur sie in einer Art Selbstbesinnung geschaffen und als freute sie sich nun ihrer eigenen Reize. So etwas war um Anna und ist in ihr, im Dunkel ihres Haares, wenn es in lockeren Wellen auf die Schultern fällt, in ihrem ruhigen, gleichmäßigen Atem, in den sanft geschwungenen Brauen, in den Lippen, die sich über etwas schlossen, was sehr langsam, aber unaufhörlich, unabwendbar heranreift. Ich erinnere mich, daß ich einmal mit Rührung ihren Schlaf beobachtete, die leiseste Bewegung ihrer Wimpern, das gleichmäßige Heben und Senken der Brust. Plötzlich erwachte sie unter meinem Blick. Als käme sie mir aus dem Schlaf entgegen, sah sie mich sekundenlang mit großen, weit geöffneten Augen an und errötete, über den Hals, das Gesicht, ja selbst die Ohren. Ich fragte sie inquisitorisch, um den Anlaß zu erfahren. Lange wollte sie nicht antworten. Endlich stieß sie widerwillig, herb hervor: „Ich habe von dir geträumt.“ Mehr brachte ich nicht aus ihr heraus. Unser Verhältnis zueinander war gewiß nicht alltäglich – es strebte auseinander und wurde stets aufs neue geknüpft, und vor allem in den späten, stillen Stunden der Nacht lag viel mit Bitterkeit gemischte Zärtlichkeit und geschickt verborgene Selbstüberwindung darin.
Das Leben auf der Gea ging inzwischen unverändert weiter. Die Laboratorien arbeiteten, abends versammelten wir uns vor den Empfängern, die Nachrichten von der Erde brachten, und trafen uns bei videoplastischen Vorstellungen oder Konzerten. In der Sporthalle trainierten die einzelnen Gruppen für die Wettkämpfe. Der Philharmoniesaal hallte wider von rauschenden Klängen. Scheinbar war alles wie früher, und doch zeigten sich bereits die Vorboten dessen, was uns auf dem endlosen Wege umgab, immer näher auf uns eindrang, unbemerkt durch die Panzerhülle der Gea sickerte und Hirne und Herzen vergiftete.
Mit den Träumen fing es an – jedenfalls bei mir. Meine Träume wurden plastisch, phantasievoll, unerträglich erlebnisreich. Ich hatte aufdringliche, lästige Träume, die Nacht für Nacht wiederkehrten. Andere spalteten sich in einzelne Gesichte, die mich abwechselnd heimsuchten. Besonders ein Traum, der Traum von der Stadt der Blinden, ließ mich nicht los: Ich war blind, lebte im Dunkel verworrener, vielverzweigter Gebilde und hatte eine lange, sehr verwickelte Vergangenheit, ganz anders als in Wirklichkeit. Weite Wanderungen, Begegnungen mit Menschen waren es, und all das ohne eine Spur von Licht in einer Finsternis, die Kopf und Herz bedrückte. Dieser Traum,
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