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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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anderem auch den Besuch der Unterhaltungs- und Erholungsräume statistisch fest. In den ersten Monaten unseres Fluges war die Sterngalerie häufig und gern aufgesucht worden; später wurde sie von Tag zu Tag mehr gemieden. Anfangs zog der Park die Ruhebedürftigen an, aber nun war er, ebenso wie die Promenadendecks, häufig leer.
    „Wo verbringen die Expeditionsteilnehmer ihre freie Zeit?“ fragte Ter Akonian, ohne jemanden anzusehen. Er saß, über seine Notizen gebeugt, an einem Schreibtisch.
    „Unsere Kontrolle erstreckt sich natürlich nur auf die öffentlichen Räume“, erwiderte Lena Behrens. „Es ist aber leicht zu erraten, daß die meisten sich in ihren Wohnungen aufhalten.“
    „Handelt es sich dabei um größere Zusammenkünfte?“ erkundigte sich Ter Akonian, ohne den Blick zu heben. Sinn und Zweck seiner Frage waren mir nicht ganz klar.
    „Das weiß ich nicht“, antwortete Lena. „Nach meinen Gewohnheiten und dem Verhalten meiner Bekannten zu urteilen – nein.“
    „Was hat das zu bedeuten?“ fragte Ter Akonian und richtete sich auf. Nun erblickte ich sein Gesicht. Es war sehr ernst.
    „Ich glaube, es ist die Einsamkeit“, warf Trehub ein.
    „Doktor“, wandte sich Ter Akonian an mich, „ich bitte dich, zu sprechen.“ Ich stand auf. Mein Bericht war nutzlos, das hatte ich im Bruchteil einer Sekunde begriffen. Es war ein eigenartiger Augenblick. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte, zugleich aber war eine sonderbare Klarheit in mir.
    „Kollegen“, begann ich, „ich habe verschiedene Klagen, die meine Patienten in den letzten Monaten vorgebracht haben, zusammengestellt, aber jetzt sehe ich ein, daß es keinen Sinn hat, sie aufzuzählen und zu klassifizieren. Es sind Erscheinungen, die durch ein und dieselbe Ursache hervorgerufen werden. Professor Trehub hat sie genannt. Sie war bisher für die Patienten wie für ihren Arzt unbegreiflich, weil wir von frühester Jugend an lernen, alle Konflikte, die das Leben mit sich bringt, verstandesgemäß zu lösen. Deshalb sind wir gewohnt, ausweglose Situationen zu verschweigen, da man die eigene Last nur dann einem anderen aufbürden darf, wenn man auf Hilfe hoffen kann. Die Stärkeren, Besseren, Klügeren helfen den Schwächeren und weniger Befähigten. Aber der Leere des Raumes stehen wir alle gleich ratlos gegenüber. Deshalb schweigen wir. Dieses Schweigen breitet sich immer mehr unter uns aus. Wir müssen es bekämpfen.“
    Ich setzte mich. Yrjöla bat ums Wort. „Ihr behauptet, Einsamkeit und Schweigen sind die ersten Erscheinungen der Einwirkung der Leere auf den Menschen. Ich weiß nicht, ob das richtig ist. Ich sage, ich weiß es nicht, und möchte diese Frage mit euch erörtern. Was bildete die Grundlage unseres Daseins auf der Erde? Was verband uns mit den anderen Menschen? In alten Zeiten hatten die Menschen gemeinsame Sitten und Gewohnheiten, Traditionen, familiäre und nationale Bande, Sorgen und Mühen, das Erbe der Vergangenheit, den Kult der bedeutendsten Ereignisse ihrer Geschichte. Uns eint die Arbeit für die Zukunft. Wir sind Menschen, die weit über die Grenzen des individuellen Lebens hinaus in das Werdende blicken. Darin liegt unsere Stärke. Wir erwarten nicht das Kommende, sondern wir schaffen es. Wir stellen uns die Aufgaben nach den wachsenden Bedürfnissen und nach unseren Zukunftswünschen. Daraus ersteht der Wandel, die Erneuerung all dessen‚ was in uns selbst und um uns ist. Ich glaube, einige beginnen, diese Grundhaltung zu verlieren. Sie erwarten bereits jetzt das Ende unseres Fluges. Aber von unserem Ziel trennen uns noch viele Jahre, und deshalb ist diese Erscheinung bedrohlich. Man kann nicht einen großen Teil seines Lebens warten!“
    „Wie steht es mit unseren Arbeiten?“ fragte Ter Akonian nach einer längeren Pause und ließ seinen Blick forschend über die Anwesenden gleiten.
    Rudelik antwortete: „Täglich brauchen wir mehr Zeit, die Verbindung mit der Erde herzustellen. Dadurch werden unsere Forschungsarbeiten wesentlich erschwert. Doch das ist nicht das Wichtigste. Die meisten arbeiten länger als sonst, aber die Ergebnisse werden nicht besser. Die Arbeit ist eine Art Zuflucht, denn sie absorbiert Zeit und lenkt vom Nachdenken über unsere Situation, über die vor uns liegenden Jahre ab. Die kleinen, alltäglichen Tätigkeiten, die wir früher gar nicht bemerkt und beachtet haben – zum Beispiel das Aufstehen und das Ankleiden, das Essen –, strömen eine gefährliche Monotonie aus. Was wir

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