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Gast im Weltraum

Gast im Weltraum

Titel: Gast im Weltraum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Operation die Sehkraft erlangt. An Stelle der uns vertrauten, geordneten, räumlich wohldimensionierten, mit verschieden gefärbten und geformten Gegenständen gefüllten Welt sieht ein solcher Mensch vorerst nur ein Chaos heller und dunkler Flecke, die sich bewegen, und er braucht lange Zeit, diese neue Welt den alten Erfahrungen seiner Sinne zuzuordnen. Wollen wir mit einem Blick den Bau dieses Wesens begreifen und verstehen, dann müssen wir wahrscheinlich zuvor die Entwicklung des Lebens auf seinem Planeten, die Umweltbedingungen, die es formten, die Vielfalt der Gattungen, die den bestehenden Lebensformen vorangingen, kennenlernen, damit sich all das, was im ersten Augenblick ein Chaos zu sein scheint, als Ordnung und Notwendigkeit erweist, die aus den Gesetzen einer natürlichen Entwicklung hervorgegangen ist.“
    Entreuil schloß die Diskussion. Er erklärte sich allerdings nicht für unterlegen, sondern hielt einen langen Vortrag über die Anatomie und Physiologie der Bewohner des Zentaurensystems, mit einer Selbstsicherheit, als kennte er sie bereits seit vielen Jahren. Seiner Meinung nach sind sie aus hochprozentig metallischen Zellen gebaut, um die inneren Organe vor der starken Strahlung der beiden Sonnen zu schützen, die in der Vergangenheit viel mächtiger war als die unserer Sonne. Trehub meldete sich nicht mehr zu Wort. Nach der Sitzung murmelte er: „Mit Maschinen läßt sich doch leichter diskutieren. Sie bemühen sich nicht, ihre Fehler zu verbergen oder zu beschönigen.“
    Entreuil, der sehr gut hört, schlug mit der Hand auf das Katheder und rief durch den ganzen Saal: „Die Tatsachen entscheiden, Kollege Trehub! Die Tatsachen entscheiden!“
    Der Astrophysiker verbeugte sich höflich und schweigend vor seinem Gegner.
    Das siebente Jahr unserer Reise näherte sich seinem Ende. Nun sollten bald alle unsere Hoffnungen, Erwartungen und Pläne mit der Wirklichkeit unmittelbar in Berührung kommen.
    Die Proxima leuchtete in immer lebhafterem Purpurrot. Sogar durch die Behelfsteleskope waren bereits die Planeten dieses roten Zwerges zu erkennen, und zwar ein entfernter, der größer ist als der Jupiter, und ein näherer, der in seinen Dimensionen unserem Mars ähnelt. Die beiden anderen Sonnen A und B des Zentauren haben eine zahlreiche Planetenfamilie. Beide strahlten an unserem Himmel als blendendweiße Gestirne, die nur einige Bogenminuten voneinander entfernt waren. Ein anderes Sonnenpaar, das viel schwächer leuchtete, waren Sirius und Beteigeuze, die scheinbar einen blauroten Doppelstern bildeten.
    Der rote Zwerg wuchs so langsam, daß man kaum von einer Woche zur anderen und noch viel weniger von einem Tag zum anderen einen Unterschied merken konnte. Trotzdem lichtete sich die Finsternis in der Sterngalerie, wenn auch unmerklich. Das Dunkel war wie von zartem Grau durchsetzt. Eines Morgens machten die Menschen auf dem von tiefen Purpurrot übergossenen Promenadendeck einander aufmerksam, daß die Gegenstände und unsere Körper Schatten warfen.
    Als die Entfernung, die uns von der Zwergsonne trennte, nur noch sechshundert Milliarden Kilometer betrug, ertönte das seit Jahren verstummte Warnsignal, und von nun an hörten wir es wieder jeden Abend. Die Gea verringerte ihre Geschwindigkeit. Wir riefen uns das bedrückende Gefühl ins Gedächtnis zurück, das dieses Signal früher in uns geweckt hatte, und stellten erstaunt fest, daß es uns nun wie eine Siegesfanfare klang. In sechzehn Wochen sank die Geschwindigkeit der Gea auf viertausend Kilometer in der Sekunde. Wir näherten uns dem ersten Planeten des roten Zwerges. Die Ekliptik dieses Himmelskörpers bildete mit der Bahn unseres Schiffes einen Winkel von 40°. Die Astrogatoren steuerten die Gea absichtlich nicht in die Umlaufebene der Planeten, da zu erwarten war, daß sie, wie in unserem Sonnensystem, von Meteoritenschwärmen wimmelte, die das Manövrieren erschwert hätten. An dem ersten dieser Himmelskörper flogen wir in einer Entfernung von vierhundert Mülionen Kilometern vorüber. Die Astrophysiker und die Planetologen versahen nun ununterbrochen den Dienst an ihren Beobachtungsinstrumenten. Wir verzichteten darauf, diesen Planeten anzufliegen, da er sich als vereister, mit einer dicken Schicht gefrorener Gase bedeckter Himmelskörper erwies.
    Neunzehn Tage, nachdem die Gea seine Bahn gekreuzt hatte, kreiste sie in kaum vierhunderttausend Kilometer Abstand von seiner Ekliptik. Kosmischem Staub waren wir bisher nicht begegnet. Am

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