Gast im Weltraum
die Mitte des Saales und ersuchte Trehub, das gleiche zu tun. Aber Trehub wollte lieber von seinem Platz aus sprechen. Der alte Forscher der Sternfauna war einverstanden, reckte das hagere Kinn wie zum Angriff vor und fragte: „Wie groß ist das Wesen?“
„Manchmal etwas größer als ein Mensch, dann wird es kleiner, manchmal ist es ganz klein.“
„Das bedeutet, daß es sich zusammenzieht und wieder ausdehnt?“
„Nein, es geschieht in einer ähnlichen Weise, wie der Mensch scheinbar kleiner wird, indem er niederkniet, sich setzt oder bückt.“
„Das Wesen kann also knien, sitzen und sich bücken. Weshalb hast du das nicht gleich gesagt?“ ereiferte sich Entreuil.
„Ich habe es nur in bezug auf den Menschen gesagt. Um niederknien zu können, muß man Beine, um sich bücken zu können, Schultern und einen Rücken haben. So etwas sehe ich nicht an diesem Wesen.“
„Hat es Gliedmaßen?“
„Ich glaube ja.“
„Was heißt ,ich glaube ‘ ? Bist du dir dessen nicht gewiß?“
„Nein.“
„Weshalb?“
„Das hängt davon ab, was wir als Gliedmaßen ansehen. Wenn ein Geschöpf von einem anderen Planeten zum erstenmal einen Menschen erblickt, dann kommt es möglicherweise zu dem Schluß, daß der Mensch fünf Gliedmaßen hat. Falls es den Kopf hinzurechnet, behauptet es vielleicht, daß er mit diesem fünften Glied Laute von sich gibt und Nahrung zu sich nimmt. Das klingt sonderbar, ist aber nur die Konsequenz des außermenschlichen Standpunktes. So sehe auch ich wohl Teile dieses Wesens, die sich von der Umgebung abheben, weiß aber nicht, ob es nicht bloß Verengungen des Körpers sind.“ „Sind die ,Teile, die sich von der Umgebung abheben‘, zufällig künstlichen Ursprungs, wie zum Beispiel Schuhe oder Kleider?“ fragte Entreuil und überflog uns mit einem Blick, der zu sagen schien: Er wollte überschlau sein, aber da traf die Sense auf einen Stein.
Trehub antwortete nicht gleich. Triumph leuchtete in Entreuils Augen auf, verschwand aber sehr rasch, als der Astrophysiker erwiderte: „Ich weiß nicht, was an diesem Wesen künstlich und was natürlich ist. Ein außerirdisches Geschöpf wüßte ja auch nicht, wo unsere Kleidung endet und der Körper beginnt. Und wenn es zum Beispiel einen Reiter sähe, dann würde es vielleicht glauben, einen Zentauren vor sich zu haben. Wenn es überdies beobachtete, daß der Reiter vom Pferd steigt, dann wäre es sicherlich geneigt anzunehmen, einen Akt der Teilung eines Individuums in zwei Individuen zu erleben. Daher braucht auch das, was ich sehe, durchaus nicht ein einzelnes Wesen zu sein. Es können ebensogut zwei, ja, es kann sogar ein ganzes Konglomerat sein.“ Entreuil war offensichtlich ärgerlich. Er überlegte kurz und sagte: „Kannst du an den Funktionen, die die Teile des Wesens ausüben, erkennen, was Gliedmaßen sind?“
„Du begehst einen Fehler, wenn du so fragst. Wie ich sehe, findest du dich mit meiner Behauptung ab, dieses Geschöpf sei so grundverschieden vom Menschen, daß es unmöglich ist, beide miteinander zu vergleichen. Obwohl du dich dieser Ansicht anschließt, glaubst du doch, daß seine Funktionen ähnlich sind. Hier verfällst du, allerdings unbewußt, in anthropozentrisches Denken. Gewiß, das Wesen führt verschiedene Bewegungen aus; aber ich vermag sie nicht zu deuten.“
„Gut“, sagte Entreuil, „versuchen wir es anders.“ Er kniff die Augen zu, als wollte er die Spitze der nächsten Frage verbergen, und fuhr fort: „Ist es ein Wirbeltier?“
Trehub unterdrückte ein Lächeln. „Um den Bau dieses Wesens zu erkennen, willst du nun die Morphologie und die Physiologie zu Hilfe nehmen. Auf diese Weise würde es dir sicherlich gelingen, etwas herauszubekommen. Aber um dir zu antworten, müßte ich selbst erst Untersuchungen vornehmen. Ich sollte aber ausschließlich auf Fragen antworten, die das Äußere dieses Wesens betreffen. Nun, vielleicht kannst du es jetzt, wenn auch nur flüchtig, in groben Umrissen skizzieren?“
Der alte Astrozoologe schwieg.
„In den Grundlagen des Denkens eines jeden von uns“, fuhr Trehub fort, „ist noch die atavistische, unvernünftige Überzeugung vorhanden, daß vernunftbegabte Wesen aus einem anderen Sonnensystem uns, und sei es nur in allgemeiner Form, karikiert oder ins Ungeheuerliche verzerrt, körperlich ähneln. Möglicherweise ist es aber ganz anders. Wer ein solches Wesen zum erstenmal erblickt, der gleicht einem Menschen, der, von Geburt an blind, durch eine
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