Gauck: Eine Biographie (German Edition)
näherten sich Schönherr, drängten ihn vom Grab weg in eine hintere Reihe und verhinderten so, dass er das Wort ergriff.
Unabhängig davon rückte Gauck in späteren Jahren von Gerhard Schmitt ab und äußerte sich in der Öffentlichkeit zurückhaltend über den Onkel. Zwei Jahre vor seiner Wahl zum Bundespräsidenten ließ Gauck auf eine Presseanfrage über Gerhard Schmitt verlautbaren: »Er gehörte zu den Personen, die Joachim Gauck zwischen dem 15. und dem 18. Lebensjahr eine positive Beziehung zur Kirche und zum Pastorenberuf ermöglicht haben.« Die Entscheidung, Theologie zu studieren, habe er »zusammen mit anderen Personen aus größerer räumlicher Nähe positiv beeinflusst«. Das hatte sich früher ganz anders angehört. Als junger Mann hatte Gauck seinem Onkel auf einer Postkarte geschrieben: »Dich als Pastor und Superintendent zu erleben, war wohl eine der Voraussetzungen dafür, dass der Beruf eines Pastors überhaupt in Erwägung gezogen wurde. Man ist ja als Jugendlicher so überaus kritisch, und wenn einem da zwischen drolligen Opas und verschrobenen Typen ein Mann 57 begegnet und dazu noch in der eigenen Verwandtschaft, so war das schon etwas! Mir jedenfalls hat damals diese Mischung von Vertrauen und Mut, Offenheit und Kirchlichkeit gefallen […] Nun winke nicht ab und sage: ›Genug der Höflichkeiten!‹, sondern lass es Dir ruhig gefallen, wenn Dir Dein Jochen ein bescheidenes, aber echtes Dankeschön sagt.«
Auch später, als er Bundespräsident geworden war, blieb Gauck auf Distanz zum verstorbenen Onkel. Nach seinem Verhältnis zu ihm befragt, antwortete er: »Beruflich empfand ich ihn als ein Rollenmodell – dass man stehen und kämpfen kann. Privat war er eine verlässliche Größe. Ich besuchte ihn ab und an in Berlin, dann bekam ich auch mal etwas Geld, wenn ich es brauchte.«
Joachim Gauck erklärte dieses Abrücken vom väterlichen Ratgeber in der Jugend zum einen damit, dass er selbst als Pastor innerhalb der Kirche einen anderen politischen Weg eingeschlagen habe als Gerhard Schmitt. Zum anderen sei eine Distanz schlicht durch ihre jeweiligen unterschiedlichen Lebensverhältnisse eingetreten.
Gegner von Joachim Gauck aus dem Lager der extremen Linken versuchen immer wieder, den Bundespräsidenten mit der Behauptung zu diskreditieren, sein Onkel sei durch seine nationalsozialistische Vergangenheit schwer belastet. Dieser Vorwurf ist jedoch substanzlos. Zwar hatte Schmitt im Dritten Reich in der Tat zu den Millionen Deutschen gehört, die sich von Adolf Hitler und den Nationalsozialisten hatten verführen und blenden lassen. Jedoch ist seine Belastung durch den Nationalsozialismus als sehr gering einzuschätzen, und ein persönlicher Schuldvorwurf lässt sich daraus nicht konstruieren.
Gerhard Schmitt war am 1. August 1931 als zweiundzwanzigjähriger Theologiestudent der NSDAP und deren Hoch 58 schulorganisation, dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund beigetreten. Am 1. April 1932 wurde er zudem Mitglied der Sturmabteilung ( SA ). 1934 unterbrach der Theologiestudent sein Studium, um hauptamtlicher Mitarbeiter des Reichs- SA -Hochschulamtes ( RSAH ) zu werden, der Institution innerhalb der SA , die für die nationalsozialistische Ausbildung der Studenten zuständig war. In beiden Organisationen errichte er lediglich Ränge auf den untersten Hierarchieebenen: Rottenführer bei der SA , Gruppenführer beim RSAH . Letzteres darf nicht verwechselt werden mit einem Gruppenführer bei der SA , was einem Generalsrang entsprach. Bereits am 1. Oktober 1934 schied Schmitt auf eigenen Antrag wieder aus dem RSAH aus und setzte sein Theologiestudium fort. Weitere Ämter und Funktionen bekleidete Schmitt in der nationalsozialistischen Bewegung nach dem 1. Oktober 1934 nicht mehr.
Kirchenpolitik in der Ulbricht-Ära
Die Kirchen waren unmittelbar nach dem Krieg unter sowjetischer Besatzung noch ein selbstverständlicher Bestandteil des bürgerlichen Lebens. Man ging hin, ohne dass man dafür besonders religiös sein musste. Mehr als neunzig Prozent der ostdeutschen Bevölkerung gehörten 1945 einer Religionsgemeinschaft an. Ganz selbstverständlich sangen die Kinder der Gaucks im Chor ihrer Schule mit, auch wenn Glaubensfragen keine größere Rolle in der Familie spielten. Der Weg zur Christenlehre ergab sich für sie wie für die meisten ihrer Altersgenossen traditionell. »So machen wir das«, ordnete der Vater die Teilnahme an, ohne den Sinn weiter zu erklären. Der
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