Gauts Geister 4 - Ehrengarde
Geschmack«, sagte er leise, indem er die Tonflasche schwenkte.
»Haben Sie zu viele davon genommen? Das ist kein Scherz, Corbec. Diese Tabletten
hier sind verdammt stark. Wenn Sie zu viele davon nehmen ...«
Seine Stimme verlor sich. Er
trat ans Bett und schlug die Vorhänge zurück.
Das Bett war leer. Benutzt,
aber leer.
»Feth ...«, murmelte Dorden.
Die Basilika von Macharius
Hagia war ein hohes Gebäude auf der Ostseite der Chelonmärkte von Heiliggraben.
Sie hatte vier spitze, mit graugrünen Quadersteinen verkleidete Türme, die von
einer anderen Welt importiert worden waren und einen starken Gegensatz zum
Rosa, Rostrot und Cremeweiß des hiesigen Gesteins bildeten. Eine gewaltige
Statue von Lord Solar in voller Rüstung, die Blitzklauen in einer Geste des
Trotzes oder der Vergeltung in den Himmel gereckt, stand auf einem mächtigen, gemauerten
Sockel im Eingangsbogen.
Drinnen, wohin die Tageshitze
nicht vordrang, war es kühl und geräumig. Tauben und Rattenvögel flatterten unter
dem offenen Dach und durch die verblüffend hellen Sonnenstrahlen, die in das
Hauptschiff fielen.
Trotz der frühen Stunde
herrschte ein reges Treiben. Blau gewandete Ayatani tummelten sich geschäftig
und bereiteten sich auf eine der Morgenandachten vor. Esholi erledigten
Botengänge für sie und kümmerten sich um die Bedürfnisse vieler hundert
Gläubiger, die sich im großen Mittelschiff versammelten. Der Ostwind brachte
einen Geruch nach Brot und gekochtem Fisch mit, den Geruch der an die Basilika
angrenzenden öffentlichen Küchen, deren wohltätige Arbeit darin bestand,
Almosen auszuteilen und den Pilgern zweimal am Tag kostenlose Nahrung
anzubieten.
Der Geruch machte Ban Daur
hungrig. Während er zwischen anderen Gläubigen die Hauptkolonnade
entlanghumpelte, gurgelte sein Magen schmerzhaft. Er blieb einen Moment stehen
und stützte sich schwer auf seinen Gehstock, bis das schwindelerregende
Unbehagen vorbei war. Seit seiner Verwundung hatte er nicht viel gegessen,
tatsächlich eigentlich nichts sonderlich ausgiebig gemacht. Die Ärzte hatten
ihm sogar das Aufstehen verboten, aber er wusste selbst am besten, wie er sich
fühlte. Stark, überraschend stark. Und vom Glück begünstigt. Der Opferdolch
hatte sein Herz äußerst knapp verfehlt. Die Ärzte machten sich Sorgen, die
Waffe könne das Herz angekratzt haben, eine Verletzung, die zu einem Riss
führen mochte, wenn er sich zu früh anstrengte.
Aber er konnte nicht einfach
nur im Bett liegen. Diese Welt, Hagia ... es ging zu Ende. Die Straßen waren
voller Soldaten und Zivilisten, die versuchten, ihre Sachen zu packen und ihren
Lebensinhalt einzuschiffen. Furcht lag in der Luft und ein eigenartiges Gefühl
der Unwirklichkeit.
Er setzte sich wieder in Bewegung,
musste jedoch rasch innehalten. Ihm wurde immer noch schnell schwindlig, und
manchmal kam der Wundschmerz in seiner Brust in bitteren Wellen.
»Ist alles in Ordnung mit
Ihnen?«, fragte ein Esholi in seiner Nähe, ein Jugendlicher in cremeweißen Gewändern.
Der Ausdruck in den Augen des kahl rasierten Jungen verriet Besorgnis.
»Darf ich Sie zu einem
Sitzplatz führen?«
»Mmmh vielleicht, ja. Ich
könnte es ein wenig übertrieben haben.«
Der Student nahm seinen Arm und
führte ihn zu einer Bank nicht weit entfernt. Daur ließ sich dankbar darauf nieder.
»Sie sind sehr blass. Sollten
Sie überhaupt auf den Beinen sein?«
»Wahrscheinlich nicht. Danke.
Jetzt, wo ich sitze, geht es mir schon wieder viel besser.«
Der Student nickte und ging
weiter, obwohl Daur ihn einige Minuten später wieder sah, wie er mit mehreren Ayatani
redete und besorgt in Daurs Richtung zeigte.
Daur beachtete sie nicht und
lehnte sich zurück, um zum Hochaltar emporzuschauen. Das Schlimmste war die
Kurzatmigkeit. Bei körperlicher Betätigung geriet er so rasch außer Atem, und
dann kam er mit dem Luftholen nicht nach, weil seine Wunde schmerzte, wenn er
tief atmete.
Nein, das war gar nicht das
Schlimmste. Ein Messer in der Brust war nicht das Schlimmste. Im Gefecht
verwundet zu werden und die letzte Mission seines Regiments zu versäumen ...
nicht einmal das war das Schlimmste.
Das Schlimmste war die Sache in
seinem Kopf, und die wollte ihn nicht in Ruhe lassen.
Er hörte, wie nicht weit
entfernt harte Worte gewechselt wurden, und drehte sich um. Das taten auch alle
Gläubigen in Hörweite.
Zwei Ayatani stritten mit einer
Offiziersgruppe der Ardeleanischen Kolonisten. Einer der Kolonisten deutete
wiederholt auf
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