Gauts Geister 6 - Tödliche Mission
entsetzter Faszination zu, wie
Corbec langsam seine Pfeife an die Lippen hob und hineinblies.
Rerval schnappte sich das Sprechgerät und fing an zu
brüllen.
»Artilleriebeschuss steht unmittelbar bevor!«
Er wiederholte den Ruf dreimal, bevor es ein ominöses
Klicken gab, das verriet, dass der elektromagnetische Impuls der feindlichen
Geschütze das Kom-Signal unterbunden hatte.
Dann schlugen die ersten Granaten ein.
Sie fielen im Regen. Sie fielen wie Regen. Sie fielen in
und um die Gräben des ersten Schützengrabens im 55. Abschnitt der Peinforqlinie
zwischen den Stellungen 251 und 315 sowie im 56. Abschnitt bis Stellung 349.
Zehn Granaten pro Sekunde, schwere Kaliber aus den
Supergeschützen weit hinter der Front und kleinere Haubitzenmunition von der
Shadik-Front. Nach einem Zeitraum von nur zwei Minuten war die Luft auf einer
Strecke von fünfzehn Kilometern von einem schlammigen Nebel und dem
atomisierten Dampf von Schutt und Trümmern erfüllt. Der Boden bebte.
Zwischen den Stellungen 293 und 294 brachten Rawne und
Domor ihre Trupps in Deckung. Im Dritten Trupp erlitten Wheln und Leclan
Verletzungen durch Splitter, Torez verlor einen Arm und Famoss wurde
enthauptet. Fünf Meter Schützengraben und eine Traverse verschwanden ganz
einfach in einem Wirbelsturm aus Erdfontänen.
Sergeant Agun Soric verschlief die ersten dreißig Sekunden
des Angriffs. Der Lärm und die Erschütterungen weckten ihn nicht auf.
Soldat Vivvo musste ihn schütteln und anschreien.
Soric schlug blinzelnd ein Auge auf und schaute im
Halbdunkel des Unterstands von Stellung 292 in Vivvos blasses Gesicht.
»Was?«, fragte er gereizt. Doch er hörte das Donnern im
Hintergrund und die aufgeregten Stimmen, und der kleine Klapptisch wackelte.
»Gak!«, schnaubte Soric und rappelte sich auf. Wie hatte
er bei alldem schlafen können?
Über das beständige Heulen der Granaten hinweg hörte er
Trümmer gegen die Wand des Unterstands prallen. Jemand rief nach einem
Sanitäter.
Klein, untersetzt, grauhaarig und mit einem gewaltigen
Lachen ausgestattet sowie einem Temperament, das so ätzend wie Säure sein
konnte, war Soric auf Verghast Leiter einer Schmelzhütte gewesen. Im dortigen
Krieg war er aus der Not zu einem Truppenführer und Widerstandskämpfer
geworden. Seine Taten hatten ihm Narbengewebe anstelle eines Auges, ein Hinken
und die ewige Hochachtung aller Geister aus der Vervunmakropole eingebracht.
Ibram Gaunt hatte nicht lange überlegt, bevor er ihn zum Anführer eines Trupps
ernannte.
Seine Fähigkeit zu schlafen war eine Rückkehr zu den alten
Zeiten, wo er auch im tumultartigen Lärm einer Schmelzhütte jederzeit zu einem
Nickerchen fähig gewesen war. Jetzt kam ihm diese Fähigkeit eher wie eine
Schwäche vor.
Er scheuchte Vivvo nach draußen, wobei er dem jüngeren
Mann mit einer Hand die Schulter herunterdrückte, damit dieser sich duckte.
Draußen wallte ein undurchsichtiger Nebel, der sie beide keuchen und heftig
nach Luft schnappen ließ. Abgesehen von diesen wirbelnden Schwaden und
verschwommenen, grellen Blitzen konnten sie nichts sehen. Die Brustwehr von
Stellung 292 war besonders niedrig und voll Wasser gesogen: Am äußeren Rand
hatte sich ein kleiner See gebildet. Die dort hineingefallenen Granaten hatten
den dichten Nebel und die wallenden Dämpfe erzeugt.
»Gak! Wieder rein, Sohn!«, hustete Soric und schob Vivvo
in den Unterstand zurück. Einen Moment stand er allein da, obwohl er nicht
sagen konnte, wie allein. Ein paar Meter entfernt mochten Männer stehen,
überlegte Soric. Und ich kann sie nicht sehen. Er versuchte etwas zu rufen,
aber sein Mund füllte sich mit Schlammtröpfchen, und er fing wieder an zu
husten. Außerdem ging jeder Laut vollkommen im beständigen Explosionsdonner
unter.
Soric taumelte in den Unterstand zurück. Vivvo war auf
Händen und Knien, hatte die Arme schützend über den Kopf gelegt und erbrach
schlammige Flüssigkeit.
»Wir werden sterben, Boss!«, keuchte er hustend.
»Sind wir auf Verghast gestorben?«
»N-nein ...«
»Dann werde ich so sicher wie Gak nicht auf dieser Arschwisch-Welt
sterben.« Soric setzte sich auf den Klappstuhl. Etwas bohrte sich in seine
Hüfte, und er fand einen Nachrichtenzylinder in der Hosentasche. Er konnte sich
nicht erinnern, einen Nachrichtenzylinder in die Tasche geschoben zu haben.
Er schraubte den Messingverschluss ab und schüttelte
gefaltetes blaues Papier heraus. Ein Blatt von einem ganz normalen Meldezettel-Block
der Garde.
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