GB84: Roman (German Edition)
Ewigkeit so weitergehen. Für immer und ewig – Tag 223 . Der totale Krieg. Gnadenlose Provokation und Aggression gegen jede Zeche, jedes Dorf. Jeden Tag. Jede Stunde – Kellingley. Maltby. Kiveton Park. Allerton –
DREIUNDDREISSIGSTE WOCHE
Montag, 15. Oktober – Sonntag, 21. Oktober 1984
Dies sind die Tage, die der Jude nicht hätte erleben sollen, das sagt er immer und immer wieder. Vom Frühstück bis zur Schlafenszeit. Morgens, mittags, abends –
Die Zeiten haben sich geändert. Der Jude sieht noch mehr als sonst alles in Schwarz und Weiß –
Nacht und Tag, nass und trocken, böse und gut.
Die und wir
–
»Man ist entweder einer von denen«, wiederholt der Jude, »oder einer von uns.«
Der Jude macht sich wieder an die Arbeit hinter seinem Schreibtisch. Dort stehen Blumen vom NWMC. Telefonanrufe sind zu erwidern, Telegramme zu beantworten.
Die Schlichtungsgespräche zwischen dem NCB und der Gewerkschaft sind in der letzten Nacht erneut abgebrochen worden. Beide Seiten haben sich keine zwei Stunden zusammenraufen können. Der Jude ist froh darüber. Der Jude hasst die Schlichtung und alles, wofür sie steht, Nachgeben, Nachverhandeln, Niederlage –
Die alten Zeiten
.
Die Schlichtungsstelle ist von einer Labour-Regierung für eine Labour-Regierung geschaffen worden –
Um sich einzumischen, zu verhandeln, zu mauscheln, zu verzichten.
Sie stinkt nach Labour, nach Niederlage und Vergangenheit –
Nach den bösen alten Zeiten
.
Der Jude ist froh, die Schlichtung scheitern zu sehen, er freut sich darüber, dass alle scheitern –
Der Präsident und die Gewerkschaft haben ihre Missachtung des Gerichts klar zum Ausdruck gebracht und nicht gezahlt. Auch darüber freut sich der Jude. Diesmal kann er es ruhig zugeben –
»Die Zeiten haben sich geändert«, sagt er zu Neil. »Die Zeiten haben sich geändert.«
Neil Fontaine wartet im Flur vor dem Büro des Vorsitzenden im Hobart House. Die Anzugträger gehen auf und ab. Auf und ab. Sie halten ihre Kündigungsschreiben in Händen.
Neil schaut wieder auf die Uhr, klopft aufs Glas. Sie läuft wieder –
Orte, an denen er sein muss, Menschen, die er treffen muss, Dinge, die er wissen muss
.
Neil und die Anzugträger hören den Juden drinnen toben –
»Dieser Streik ist ein politischer Streik, täuschen Sie sich da mal nicht! Das Ergebnis ist keineswegs nur eine Angelegenheit des NCB, ist es nie gewesen. Die Zukunft des Landes hängt davon ab, dass dieser Mann mit allem, wofür er steht, eine totale Niederlage erlebt. Es kann kein Abkommen geben, keine Übereinkunft, keinen Kompromiss. Es darf zu keinen weiteren Verhandlungen kommen. Keine weiteren Versprechungen, keine Amnestie, keine Arbeit für Bergleute, die wegen krimineller Handlungen verurteilt wurden. Die Zeiten haben sich geändert, und ich sage Ihnen genau, wann – die Zeiten haben sich exakt Freitagnacht um sechs Minuten vor drei geändert.«
Terry Winters hatte am Flughafen jede Menge Zeit totzuschlagen. Er las Conrad, Greene, Fleming, aber er konnte sich nicht konzentrieren. Er blätterte durch die Zeitungen.
Bomben. Terroristen. Gescheiterte Gespräche. Geldstrafen. Die anonym bezahlte Strafe des Präsidenten
. Terry wurde dort gebraucht. Dort. Nicht hier –
In Frankfurt, im verdammten Deutschland.
Terry rief in Sheffield an.
Klick-klick
–
Bei Diane.
Klick-klick
. Bei Theresa –
Niemand ging ans Telefon. Niemand rief zurück. Niemand sagte ihm etwas. Mohammed brachte Terry eine frische Tasse Kaffee und setzte sich ihm gegenüber. Er sprach über Al-Zulfikar, über Politik in Pakistan, Rache, die Doncaster Rovers, Brotpreise, Eckläden –
Terry wünschte sich, er würde die Klappe halten. Verdammt.
Salem kehrte zurück und schüttelte den Kopf. »Vierundzwanzig Stunden«, sagte er.
Terry verdrehte die Augen und ging zurück ins Flughafenhotel. Er checkte wieder ein und legte sich auf das Einzelbett in seinem Einzelzimmer. Er versuchte zu schlafen, aber es ging nicht. Er zerschnitt
Der Geheimagent
, um neue Codes zu entwickeln. Er benutzte
Ein Sohn Englands
als Fußball. Er schleuderte
Der Spion, der mich liebte
gegen die Wand –
Er sollte nicht hier sein. Er sollte dort sein. Dort. Dort –
Terry rief in Sheffield an.
Klick-klick
. Bei Diane.
Klick-klick
–
Doch niemand ging ans Telefon. Niemand rief zurück. Niemand sagte ihm etwas. Mohammed klopfte an seine Tür und fragte, ob er zu Abend essen wolle. Terry erwiderte, er sei beschäftigt, er habe Dinge zu erledigen
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