GB84: Roman (German Edition)
Gewerkschaftsmitglieder in South Wales hatten von einer Brücke einen Betonklotz auf ein Taxi fallen lassen, das einen arbeitswilligen Bergmann zur Merthyr-Vale-Zeche fahren sollte. Der Klotz war durch die Fensterscheibe geschlagen und hatte den Taxifahrer getötet. Er hatte zwei Kinder, und seine Lebensgefährtin erwartete zu Weihnachten das dritte. Zwei junge Bergmänner aus den Zechen Oakdale und Taff Merthyr waren verhaftet und unter Mordanklage gestellt worden –
Schlägertypen, Hooligans, Terroristen und jetzt auch noch Mörder –
Aussätzige allesamt
–
Die Gewerkschaftsbüros waren Spitäler, die Zechensiedlungen Kolonien des Abschaums. Stille herrschte in jedem Büro auf jedem Stockwerk in jedem der Gebäude. Stille auf den Straßen, die Sammeleimer leer –
Nur kübelweise Regen, kübelweise Leid
–
Stündlich gab es Bombendrohungen, Morddrohungen. Die Post war voller Hass, Briefbomben tauchten auf. Der Präsident hatte Angst, Angst vor der Außenwelt, Angst vor der Innenwelt. Der Präsident traute niemandem mehr außer Len und Joan –
Krähen umkreisten das Kloster, Wölfe warteten vor den Toren
–
Die Gemäßigten in der Gewerkschaft trafen sich mit dem TUC und der Labour Party. Sie trafen sich auf Fluren, in Motels, in Hinterzimmern von Pubs –
Sie trafen sich und redeten
–
Sprachen von Aussteigen, von Rückkehr mit oder ohne Einigung. Hinter vorgehaltener Hand. Hinter dem Rücken –
Sie redeten und planten
–
Planten den Ausverkauf, planten nachzugeben und Kompromisse einzugehen. Planten ihren Coup –
Sie planten, intrigierten
–
Planten den Ruin des Präsidenten. Seinen Abstieg und Sturz. Sie konspirierten und träumten, träumten von der Niederlage des Präsidenten –
Träumten von seiner Vernichtung, seinem Tod
–
Der Präsident hockte zwischen dem Baum der Rechten und der Borke der Linken. So in der Falle sitzend, lebte er hinter verschlossenen Türen. Er sprach nur noch im Geheimen und zeichnete alles auf Band auf, alle Anweisungen, alle Berichte. Joan kochte, Len probierte. Der Präsident aß nur wenig, manchmal taumelte er. Er trank nur noch abgekochtes Wasser. Er ließ die verschlossenen Türen seines Büros nur für Kundgebungen hinter sich, fuhr nur in dem von Len gesteuerten Rover –
Len bezahlte Bergleute dafür, Tag und Nacht auf den Rover aufzupassen, und andere wiederum dafür, auf diese Bergleute aufzupassen –
Seit Freitag, dem 30. November 1984
.
Heute war Montag, und der Präsident sollte auf einer Kundgebung in Stoke erscheinen. Den ganzen Tag über hatte es Bomben- und Morddrohungen gegeben. Männer mit gedämpften Stimmen hatten bei den örtlichen Radiosendern angerufen und ihre Warnungen geflüstert.
Der Präsident nahm Terry Winters und Paul mit. Er ließ Terry nicht mehr aus den Augen. Die beiden mussten vor ihm auf der Bühne stehen, die sich der Präsident an diesem Abend mit dem Vorsitzenden der Labour Party teilte. Terry Winters linste hinaus in die Scheinwerfer –
Er suchte nach Schlingen, nach Scharfschützen
.
Der Parteiführer sprach als Erster. Die Gewalt müsse aufhören, sagte er –
Die Gewalt
müsse
aufhören, und zwar
sofort
.
Zwischenrufer beschimpften ihn als Verräter, als Judas, als Scab! Scab! Scab!
Die Zwischenrufer wurden entfernt. Der Parteiführer bekam tosenden Applaus.
Der Präsident erhob sich hinter Terry und Paul –
Im Bürgersaal wurde es still –
Seine Stimme, seine Worte waren unsicher. Er gestand, welch schweren Schock ihm der tragische Tod des Taxifahrers versetzt hatte –
Er erhielt ebenfalls tosenden Applaus. Alle Anwesenden sangen
The Red Flag
.
Dann wurde es im Saal wieder still.
Len holte den Wagen. Terry und Paul schirmten den Präsidenten ab, als sie hinausgingen. Schweißgebadet und zitternd setzte sich der Präsident zwischen die beiden hinten in den Rover. Len blieb für die ganze Fahrt nach Yorkshire auf der Überholspur. Er setzte Terry als Ersten ab. Vor Terrys Haus stand ein Streifenwagen –
Vor all ihren Häusern standen Streifenwagen.
Dies sind glückliche Tage für den Juden –
Die Ermordung des Taxifahrers in South Wales. Die Einsetzung eines Treuhänders. Die Kündigung weiterer Anzugträger im Hobart House –
»Das hätte ich nicht besser planen können, Neil«, meint der Jude. Er sitzt entspannt hinter seinem Schreibtisch, über einer neuen riesigen Anzeige –
Es zahlt sich für jeden nichtarbeitenden Bergmann aus, dies zu lesen
.
Der Jude räumt seinen Schreibtisch
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