Gebannt: Band 3 (German Edition)
aber als ich den Barhocker knacken hörte, fügte ich rasch hinzu: » Antworte mir jetzt. Bin ich das, was du am meisten fürchtest?«
Er bewegte sich, trank sein Glas leer und kam ein paar Schritte au f mich zu. Doch ich musste es wissen. » Antworte mir«, beharrte ich.
Er blieb stehen und seufzte. » Ja, das ist es, wovor ich mich am meisten fürchte.«
Ich schloss die Augen und nickte, mein Kiefer und mein Nacken schmerzten bei dieser schrecklichen Wahrheit.
Ich bin so eine Idiotin. Geh. Sofort!
» Kein Wunder, dass der heutige Abend entsetzlich für dich war. Na dann, gute Nacht«, sagte ich, wobei ich kaum die Worte herausbrachte. Dann eilte ich zur Treppe.
» Violet!«, rie f mir Lincoln nach.
Doch ich wollte nicht noch mehr hören. Hatte Josephine recht? Waren Lincolns Gefühle für mich nur vorhanden, weil unsere Seelen chemisch irgendwie zueinander hingezogen wurden? Glaubte er, dass er mich nur deshalb mochte?
Ich rannte die Treppe hinauf, weil ich mich plötzlich lächerlich fühlte in meinem Outfit. Anstatt in mein Zimmer zu gehen, rannte ich weiter und konnte erst stehen bleiben, als ich aufs Dach hinausstolperte, wo ich nach frischer Luft schnappte.
Der Ausblick über Santorin war atemberaubend, und obwohl mir alles vor den Augen verschwamm, war ich wieder von seiner Schönheit überwältigt. Doch jetzt brachte es mich nur noch mehr zum Weinen.
Alles Schöne ist befleckt.
Um meine Ansicht zu untermauern, blickte ich hinaus au f das Meer und die Silhouette des Vulkans.
Wie schaffe ich das? Wie kann ich diese Person sein, die in diesen Schlachten kämpft?
Alles, was ich wollte, war, meinen Flanellpyjama anziehen, eine große Packung Eis essen und mir die Augen ausheulen. Jeder wollte, dass ich jemand war, der ich nicht war. Selbst Lincoln.
» Ich und mein großes Mundwerk«, murmelte ich vor mich hin. » So bescheuert.« Da stand er nun inmitten seines schlimmsten Albtraums, und ich sagte ihm auch noch, dass ich ihn liebe.
Ich lehnte mich gegen eine der kleinen Absperrmauern und ließ mich zu Boden sinken. Da merkte ich erst, wie erschöpft ich eigentlich war. Ich weinte und weinte, obwohl ich wusste, dass ich eigentlich in mein Zimmer gehen sollte. Man erwartete von uns, dass wir morgen früh aufstanden, um mit unseren Nachforschungen zu beginnen. Doch all meine Stärke war verschwunden, und jetzt war auch noch meine Wut verflogen.
Als ich au f dem harten Betonboden au f dem Dach einschlie f , strich mir eine kühle Brise, die nach Moschus und Jasmin duftete, durch das Haar und über das Gesicht. Irgendetwas sagte mir, dass ich etwas tun sollte, läutete eine stumme Alarmglocke in mir, aber ich war wie betäubt und ignorierte es. Schon bald schlie f ich tie f und fest.
Der Untergrund war uneben und irgendetwas grub sich in meinen Rücken. Ich wollte gerade die Augen aufschlagen, als ich ihn spürte. Er war offenbar schon eine Weile da. Die Sinneswahrnehmungen hatten sich schon fest in mir etabliert, es fühlte sich nicht an, als wären sie gerade erst aufgeflackert.
Wie konnte ich das nur verschlafen?
Ich versuchte, mich nicht zu verkrampfen, und unterdrückte meinen Instinkt, aufzuspringen und au f Konfrontationskurs zu gehen. Wenn er gekommen wäre, um mich umzubringen, dann hätte er das längst getan, es wäre ein Leichtes gewesen.
Mir hing das Haar über das Gesicht, deshalb ergrif f ich die Chance und schlug meine Augen auf. Er saß au f der Mauer, hatte die Füße hochgezogen und sich an einen der höheren Pfeiler gelehnt. Die Sonne ging gerade au f und sorgte mit ihren ersten warmen Strahlen für die perfekte Hintergrundbeleuchtung.
Er blickte hinaus zum Horizont, aber ich konnte seine Augen sehen. Müde, einsam … Verloren.
» Ich weiß, dass du wach bist«, sagte Phoenix.
Ich war nicht überrascht. Er bewegte sich nicht und sagte auch nichts mehr, deshalb setzte ich mich au f und streckte dabei meinen verspannten Körper.
Ich stand au f und ertappte mich dabei, wie ich au f ihn zuging, erstaunt, wie wohl ich mich von Zeit zu Zeit in seiner Gegenwart fühlte, obwohl ich wusste, wie sehr er mich hasste und dass er mich letztendlich umbringen würde. Vielleicht barg das eine Art Frieden. Vielleicht spürte er es auch, weil er wusste, dass ich ihn mit mir nehmen würde, wenn ich konnte.
» Ich sagte doch, dass das Kleid hinreißend an dir aussehen würde.«
Und dann kam das Seltsamste. Er grif f hinter seinen Rücken und holte einen Pappbecher hervor, den er mir reichte.
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