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Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Titel: Gebrauchsanweisung für den Gardasee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Stephan
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südlicher Sonne bisweilen bis ins Absurde getriebener Hang zur pompösen Selbstverwirklichung und Selbstverewigung: all diese Tendenzen des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts trafen hier in Gardone Riviera zusammen – und alle kulminierten sie in einem Haus: der prächtigen, inmitten eines sich weitläufig hangaufwärts ziehenden Parks gelegenen Villa Cargnacco. Seinen heutigen Ruhm verdankt das Gebäude dem Dichter, Hobby-Feldherrn und präfaschistischem Avantgarde-Ästheten Gabriele D’Annunzio, der im Park der Villa sein ebenso pompöses wie skurriles Privatmausoleum, das Vittoriale, errichtete. Doch über den Rummel um D’Annunzio ist mittlerweile der Vorbesitzer der Villa Cargnacco vollkommen in Vergessenheit geraten, obwohl der ein auf seine Art mindestens ebenso bemerkenswerter Mann war. Die Rede ist von dem deutschen Kunsthistoriker Heinrich oder Henry Thode, der übrigens die Villa seinerseits von Gardones österreichischem Lokalmatador Louis Wimmer erwarb.
    Wer war Henry Thode? Selbst die gründlicheren unter den Reisehandbüchern begnügen sich mit der knappen Mitteilung, Thode sei ein Schwiegersohn Cosima Wagners gewesen. Damit hat sich’s, obwohl eben diese Auskunft weitere neugierige Fragen provoziert. Wieso, zum Beispiel, war Cosima Wagners Schwiegersohn nicht auch der Richard Wagners? Weil Thodes Frau Daniela aus Cosimas erster Ehe mit dem Dirigenten Hans von Bülow stammt, lautet die scheinbar simple Antwort, die über die höchst abenteuerlichen Verhältnisse in der Familie wie in der Villa Cargnacco allerdings irreführend wenig aussagt. Gräbt man ein wenig in den Archiven herum, findet man nämlich bald heraus, daß die von Cosima heftig betriebene eheliche Verbindung ihrer Tochter mit Henry Thode einzig und allein den Zweck hatte, diesen auf eine den Anschein bürgerlicher Sittsamkeit wahrende Weise in die Großfamilie Wagner einzugliedern.
    Bürgerliche Sittsamkeit? Richtig, jetzt wird die Geschichte spannend, auch im Hinblick auf die Vergangenheit der Villa Cargnacco. In deren traute Abgeschiedenheit nämlich pflegte sich Thode gern mit Richard und Cosima Wagners Sohn Siegfried zurückzuziehen. Dies auch, um zu arbeiten: Siegfried Wagner, Komponist wie sein Vater, schrieb hier in Gardone unter anderem an seiner romantisch-tragischen Oper »Sternengebot«, deren Held Helferich sein Leben ganz in den Dienst seines Freundes Heinz stellt – er mordet sogar für Heinz, geht für Heinz in den Kerker und schließt sich endlich Heinz zuliebe einem Kreuzzug an. Nicht zufällig nannte auch Siegfried Wagner seinen Herzensfreund Henry, der übrigens von 1889 bis 1891 Direktor des schon damals renommierten Frankfurter Städel-Museums war, stets Heinz.
    Doch Thodes Hang zu lustvollem Zeitvertreib und Kurzweil beschränkte sich nicht auf Siegfried, und auch keineswegs auf Männer allein, selbst wenn seine Verbindung mit Siegfrieds Halbschwester Daniela eine »weiße Ehe« blieb, wie man das damals nannte. Die Tänzerin Isidora Duncan jedenfalls berichtete in ihren Memoiren von exzessiven Orgien, die sie gemeinsam mit dem lebenslustigen Kunstgelehrten in dem Bayreuther Haus Phillipsruh – und damit quasi unter den Augen von dessen sittenstrenger Schwiegermutter Cosima gefeiert habe. Ein Schelm, wer dabei nun nicht an die skandalumwitterten Stelldicheins denkt, die sich Gabriele D’Annunzio und die Schauspielerin Eleonora Duse in der vormals Thodeschen Villa Cargnacco gaben. Und kein Wunder auch, daß den Begriff kurort im Italienischen, wo er als deutsches Fremdwort bis heute fortlebt, nach wie vor einen Hauch von mondänem Sündenpfuhl umweht …
    Zu merken ist davon im heutigen Gardone allerdings nichts mehr. Gut erhalten sind allerdings die Spuren, die Henry Thodes Aufenthalt in der Villa Cargnacco hinterließ. Auch wenn die Reiseführer nämlich durch die Bank das Gegenteil behaupten: Der nähere Augenschein zeigt, daß D’Annunzio die von ihm 1921 erworbene und bald darauf als Prioria bezeichnete Villa keineswegs »komplett umgebaut« und dabei buchstäblich keinen Stein auf dem anderen gelassen habe. So ist, trotz einiger von D’Annunzio angebrachter, reichlich alberner Dekorelemente bis heute die im Auftrag Thodes stilsicher renovierte, ungewöhnlich plastische Fassadenstruktur des Hauses gut erkennbar. Und komplett erhalten ist vor allem der Bibliotheksflügel des Hauses (inklusive der darin untergebrachten kunsthistorischen Büchersammlung), dessen Ausbau und heutige

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