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Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Titel: Gebrauchsanweisung für den Gardasee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Stephan
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waschechter deutschsprachiger Österreicher Bürgermeister am Gardasee, und das nicht etwa am ohnehin von Wien aus regierten Ostufer, sondern hier, in der Mitte des Westufers, das zum neu entstandenen, mit Österreich immer noch stark verfeindeten Königreich Italien gehörte: So etwas ginge heute nicht mehr – oder noch nicht? So oder so, man wundert sich kaum darüber, daß bei weitem nicht alle Bewohner der Ufergemeinden von den Aktivitäten Wimmers und anderer österreichischer und deutscher Geschäftsleute hellauf begeistert waren. Und noch bevor zu allem Überdruß auch noch Erzherzog Albert von Österreich, ein Cousin des Kaisers Franz Joseph, mit seinen Freunden und seiner Familie die Villa Principe im wenige Kilometer nördlich von Gardone liegenden Fasano als allerhöchstpersönliche Jagd- und Sommerresidenz zu nutzen begann, machte unter den Einheimischen zum ersten Mal das durchaus bös gemeinte Wort von der germanizzazione, der Germanisierung des Gardasees, die Runde.
    Dennoch, die vor allem durch deutschsprachige Hoteliers, Villenbesitzer und Reisende bewirkte Umwandlung der bis dahin meist winzigen Seegemeinden zu Erholungs- und Luftkurorten schritt gerade auch am Westufer weiter fort – bis ihr schließlich der Erste Weltkrieg 1914 ein jähes Ende setzte. Noch in der letzten Saison – und das hieß, wie gesagt, in der letzten Wintersaison – vor Kriegsausbruch verzeichnete die Gästechronik von Gardone 12.000 Besucher aus aller Welt. Nur nicht aus Italien: Nicht einmal zwei Prozent der sich in Gardone erholenden Gäste waren Italiener. Zwei Jahre später, Italien war erst 1915 auf der Seite der Entente in den Krieg gegen Deutschland eingetreten, hatte sich dieses Bild grundlegend geändert: Statt der deutschen und österreichischen Oberschicht waren es nun fast ausschließlich im Krieg verwundete italienische Offiziere, die sich hier gesund pflegen ließen.
    Überdauert haben diesen Wandel der Zeiten jedoch die Häuser, auch wenn die meisten von ihnen nach Kriegsausbruch vom italienischen Staat konfisziert worden waren. Wer mag, kann sich auch heute nicht nur im Grand Hotel von Gardone einquartieren (dessen Attraktivität indessen – Schallschutzfenster hin, Schallschutzfenster her – durch die unmittelbar vorbeiführende Gardesana ziemlich eingeschränkt ist), er kann sein Quartier sogar in den prächtigen Jugendstilräumen der vormals kaiserlichen Villa Principe aufschlagen, die heute als Edeldependance zum ohnehin luxuriösen Grand Hotel Fasano ( 5 Sterne! ) gehört.
    Am Rande bemerkt: Eine weitere, mindestens ebenso lohnende Gelegenheit, Geld auszugeben, bietet in Gardone der Besuch der Villa Fiordaliso. Sie hat ausnahmsweise kein Deutscher errichtet, aber doch, wie um unsere These vom Gardaseegebiet als dem Kalifornien Mitteleuropas zu untermauern, ein Amerikaner deutscher Abkunft namens Otto Vézin. Das schützte die Villa allerdings auch nicht vor der Zwangsenteignung im Ersten Weltkrieg; ihr heutiges pittoreskes Aussehen – die Fassade schmücken Fresken im toskanischen Stil des 16. Jahrhunderts – verdankt sie den italienischen Besitzern, die die Villa 1928 erworben und ihr zu einem eher anrüchigen historischen Ruf verhalfen, als sie sie dem 1943 gestürzten und darauf von Hitlers Deutschen nach Salò expedierten Diktator Mussolini (mehr darüber an anderer Stelle) zur Verfügung stellten, der seinerseits seine Geliebte Claretta Petacci im zweiten Stock der Villa Fiordaliso unterbrachte – ausgerechnet im »Roten Saal« übrigens.
    Mittlerweile steht freilich auch dieses Gebäude unmittelbar im Dienst des Tourismus: Nach 1960 wurde die Villa Fiordaliso zum kleinen feinen Hotel umgebaut. Unsere Empfehlung, hier Geld auszugeben, bezieht sich allerdings auf das angeschlossene Restaurant, eines der wenigen am Gardasee, das sich seit Jahren mit einem Michelin-Stern schmücken kann. Wer wissen will, warum das so ist, sollte hier einmal den Risotto mit Flußkrebsen und wilder Brunnenkresse probieren, die ravioli al Bagoss (so heißt der Käse aus dem nahen Bergdorf Bagolino), den auf Holzkohle gegrillten Gardasee-Aal oder – der zugegebenermaßen eine gewisse Tollkühnheit fordernde Entschluß wird sich aufs Angenehmste auszahlen – den Dessertkranz aus kandiertem Knoblauch (!) und kandiertem Fenchel.
    Italienische Sinnenfreude und deutscher Pioniergeist, großbürgerlicher Amüsierwille und nationalistische Verstiegenheit, dekadenter Luxus und ein sich unterm Einfluß von Seeluft und

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