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Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Gebrauchsanweisung für den Gardasee

Titel: Gebrauchsanweisung für den Gardasee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Stephan
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Überraschungseffekts, ganz besonders erschreckt), manchmal, vor allem an Wochenenden, aber auch ziemlich häufig. Das Gute dabei ist nur, daß auf dieser Straße niemand Gedanken darauf zu verschwenden braucht, wie er sich am besten auf Gegenverkehr einstellt. Man kann sich hier nicht auf den Gegenverkehr einstellen, jedenfalls nicht mit den üblichen Maßnahmen: Halbwegs langsam fährt man, ob man das nun will oder nicht, ja ohnehin; dafür sorgen schon die erwähnten Felshindernisse, die zugleich die Sicht auf die vor einem liegende Straße auf ganz wenige Meter begrenzen; und sich ängstlich rechts zu halten, hilft auch nichts, eben weil die Straße so und so nicht breit genug ist für zwei Fahrzeuge.
    Kurz und gut, man kommt sich hier vor wie in des fahrenden Holländers Alptraum – und dieser Alptraum wird noch kilometerlang anhalten. Apropos Holländer: Jeder Versuch, die an der Abzweigung aufgestellten Warnschilder zu ignorieren und diese Route mit einem Anhänger, gar einem Wohnwagenanhänger zu befahren, kann nur im Verderben enden. Und apropos Alptraum: Es kommt noch schlimmer. Irgendwann nämlich, nachdem man bereits die ersten unter Schweißausbrüchen im Rückwärtsgang absolvierten Ausweichmanöver absolviert hat (die seltenen dafür vorgesehenen Buchten verdienen ihren Namen kaum), irgendwann also verläßt die Route den Steilhang und wendet sich in die nicht minder steile, aber nun auch nach oben hin erschreckend enge Schlucht, durch die die Wasserfluten der Brasa von Tremosine aus in den See stürzen.
    Zwischen kirchturmhohen Klammwänden bleiben hier oft nur wenige Meter Platz, und den müssen sich Fluß und Straße nun auch noch teilen, wenn nicht die Straße direkt über das Wasser oder, auch das gibt es hier, der Wasserfall direkt über die Straße geleitet wird. Straße? Spätestens hier, im Inneren der Brasaschlucht begreift man, daß man sich nicht auf einer ordinären Autostraße befindet, sondern auf dem Weg durch ein phantastisches Labyrinth, in dem nicht nur die normalen Verkehrs- und Straßenbauvorschriften, sondern auch die Unterschiede zwischen links und rechts, vorwärts und rückwärts, oben und unten, ja zwischen Wasser und Fels plötzlich überhaupt keine Rolle mehr zu spielen scheinen.
    Irgend jemand hat die Route durch die Brasaschlucht einmal »die schönste Straße der Welt« genannt. So etwas läßt sich naturgemäß schwer nachprüfen, und doch glaubt man es sofort – und glaubt es um so stärker, je öfter man diese Schlucht durchfahren hat. Auch die immer begründete Angst vor Gegenverkehr und Ausweichmanövern weichen dabei irgendwann einer routinierten Sorgfalt, die man getrost seinem chauffierenden Unterbewußtsein überlassen kann. Doch schon bei seiner allerersten Fahrt hier herauf spürt manch einer, sobald er die wildesten Passagen hinter sich hat und die Felsschlucht sich zum dunkel bewaldeten Talgrund weitet, nicht etwa Erleichterung, sondern ein leises Bedauern: Doch schade, daß es schon vorüber ist …
    Wie gut trifft es sich da, daß alsbald die über eine Biegung des talwärts strömenden Flusses gebaute alte Brasa-Mühle vor einem auftaucht, und dicht daneben die ehemalige Hammerschmiede, in der heute die Trattoria La Brasa untergebracht ist. Eine romantischer gelegene Einkehr läßt sich nicht denken. Abends, obwohl man da ja von der wunderschönen Lage kaum etwas hat, ist hier nur sehr schwer ein Tisch zu ergattern. Und an Wochenenden geht ohne Reservierung gar nichts; dann wird Giuseppe und Giuseppina Cozzagglios Lokal zur beliebtesten Anlaufstelle weit und breit, auch wegen der Pizza, für die Sohn Mario vor allem bei den Kindern seiner Gäste berühmt ist.
    Weil wir uns ja aber die Fahrt nach Tremosine vorgenommen haben, um dem Rummel aus dem Weg zu gehen, haben wir dafür gesorgt, daß wir bereits zur frühen Mittagszeit die Trattoria La Brasa erreichen. Und als schlaue Insider ignorieren wir auch die zahlreichen Bänke und Tische auf dem Wiesenhang zwischen dem Lokal und der Straße, streben statt dessen zielsicher die kleine gemütliche Terrasse auf der Rückseite des Lokals an, bestellen eine gegrillte Forelle und ein Glas Prosecco – und sind kurz darauf rundum zufrieden mit der Welt und uns.
    Gottlob ist es immer ein wenig schattig in der Brasaschlucht; sonst würden wir womöglich der Versuchung nachgeben, hier stundenlang sitzen zu bleiben. Aber noch haben wir ja ein paar Kilometer vor und über uns auf der nun wieder breiter gewordenen (und

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