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Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg

Titel: Gebrauchsanweisung für Potsdam und Brandenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Rávic Strubel
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Neunzigerjahren gerieten Neuruppin, Halbe, Schwedt, Cottbus, die Stadt Brandenburg, Fürstenwalde, Frankfurt/Oder, Henningsdorf, Königs Wusterhausen, Premnitz und sogar Potsdam wegen rechtsradikaler Anschläge auf Ausländer in die Schlagzeilen. Ganz Brandenburg wurde über Nacht zur »no-go-area«. Einen englischen Freund nigerianischer Abstammung hielten diese Nachrichten davon ab, mich zu besuchen. Er wollte mich lieber in Berlin treffen. Ich fuhr zu ihm. Das Erste, wovon er erzählte, waren Rechte, die ihn verbal am Bahnhof Zoo attackiert hatten. Die Rechten seien, so vermutete er, Brandenburger gewesen, die sich die Hauptstadt ansehen wollten. Ich bemerkte einen gewissen Überdruss, das mit ihm weiter zu diskutieren. Es war derselbe Überdruss, der in der Standardantwort der Einheimischen zu spüren ist: »Bei uns nicht. Woanders.«
    Natürlich empfangen die skeptischen Brandenburger Fremde selten mit einem zärtlichen Redeschwall, ob er nun aus Bali, Los Angeles, Nim, aus Dessau oder nur vom anderen Ufer kommt. Der etwas bedächtiger arbeitende Geist benötigte auch eine etwas längere Umorientierungszeit, nachdem nach der Wende die alten Gewissheiten ins Schwimmen gerieten. Perspektivlosigkeit führt schneller auf Abwege. Und es ist mehr als offensichtlich, dass die Brandenburger Luft eine internationale Erfrischung dringend nötig hat. (Wird in einer brandenburgischen Kleinstadt ein multikulturelles Zentrum eröffnet, darf man nicht davon ausgehen, dass es sich um eine Begegnungsstätte verschiedener Kulturen handelt. Es könnten auch verschiedene »kulturelle« Vereine sein wie der Schießsportverein oder der Feuerwehrverein, die unter einem Dach versammelt werden.)
    Aber hinter so manch unbedacht rassistischer Titulierung, die Lutze von nebenan im Mund führt, steckt nichts anderes als ein fehlgeleiteter Trotz. Der Trotz gilt den Verursachern jener Schlagzeilen, die Brandenburg zum neuen Todesstreifen machen; Journalisten, die im Mantel der politischen Korrektheit sensationslüstern einen beinharten Osten herbeischreiben. Da sitzen ein paar Jungs in knittrigen Mäntelchen beim Champagner im »Grill Royal« in Berlin, so die Vorstellung märkischer Kleinstadtbewohner, und wünschen sich ein bisschen Grusel in ihr gesättigtes Mittvierzigerleben. Wenigstens im Osten soll es hammerhart zugehen. Da soll es knallen. Also beschwört man in überregionalen Blättern die Heimstatt des authentisch Fiesen, des Barbaren, im benachbarten Brandenburg.
    In den oben erwähnten Städten sieht man zwar öfter kahle Köpfe, aber solange die Rechten nicht aufmarschieren, sind sie auf den ersten Blick nicht zu erkennen. Nur wer sich in den Labels auskennt und weiß, was die Doppelacht auf dem Sweatshirt bedeutet, könnte auf die Idee kommen, dass der Weißweintrinker im Café, der ein dünnes Zigarillo raucht und Zärtlichkeiten mit seinem gepflegten Hund austauscht, gerade Befehle ins Handy tippt, die dem Anführer einer Schlägerei irgendwo im Ländlichen gelten, sei es in Brandenburg oder in Schleswig-Holstein.
    »Zossen zeigt Gesicht«, sagen die Einwohner und »Neuruppin bleibt bunt« und gehen dafür auf die Straße. Bewaffnet mit Töpfen und anderem Schlaggerät aus der Küche erzeugen sie so viel öffentlichen Lärm, dass der Naziaufmarsch übertönt wird. Bürgerinitiativen verhindern, dass Rechte Gebäude kaufen, um sie zu sogenannten Jugendklubs umzugestalten. Die Confiserie Felicitas aus Hornow stellte einen nepalesischen Flüchtling in ihrer Schokoladenproduktion ein, was nicht nur dem Asylsuchenden half, sondern auch Berührungsängste der Niederlausitzer aus der Welt räumte. Viele Städte haben Aktionsbündnisse gegen Rechts ins Leben gerufen, die Erfolg zeigen: Schaffte es die DVU Ende der Neunzigerjahre noch in den Landtag, scheiterten bei der Wahl 2009 sowohl DVU als auch NPD deutlich an der Fünfprozenthürde. Und wenn auf Festen der Freiwilligen Feuerwehr die dorfbekannte Gruppe Rechter aufläuft, sind die Fäuste der einheimischen Bauern die wirksamste Botschaft. Die brandenburgischen Aktivisten der gleichgeschlechtlichen Liebe, die in Sachen Härte sicherlich mehr Erfahrung haben als die Jungs im »Grill Royal« und vor Kurzem noch als todesmutig galten, steuern mit ihren Gay Pride-Wagen schon lange regelmäßig Neuruppin oder Spremberg an und werben für Toleranz. Als ich in Neuruppin war, sah ich einen roten Oldtimer durch die Stadt fahren. Im Fond des offenen Wagens hielten Braut und Bräutigamdame

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