Gebrauchsanweisung für Schwaben
Schauspielhaus, dem »Theater des Jahres« 2006, ob Theaterhaus in Stuttgart, ob Esslinger Landesbühne, Tübinger Landestheater, Melchinger Lindenhof oder Ulmer Stadttheater. Ihren experimentierfreudigen, liberalen Ruf haben diese Institutionen nicht von ungefähr. Schließlich durften im einstigen Stuttgarter Hoftheater politisch brisante Stücke von Ludwig Thoma und Frank Wedekind aufgeführt werden – ohne Zensur, dafür mit dem Segen des liberalen Königs Wilhelm II. Und das, obwohl beide Autoren anderswo wegen Majestätsbeleidigung vorbestraft waren. Nur als der Stuttgarter Theaterchef Claus Peymann in den späten siebziger Jahren per Aushang Geld sammeln wollte für den Zahnersatz der im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim einsitzenden Terroristin Gudrun Ensslin, da hatte die Liberalität der Regierenden ein Ende.
Daß es die Schwaben gern harmonisch haben, beweisen die unzähligen Chöre im Land. Sie reichen vom kleinen Männergesangverein bis zu Hellmuth Rillings Gächinger Kantorei, ihr Repertoire spannt sich vom »Mädle, ruck, ruck, ruck« über Friedrich Silchers Vertonung der »Lorelei« von Heinrich Heine (»Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«) bis zu den Passionen des Johann Sebastian Bach. Suebia non cantat? Schwaben singt nicht? Ja Pfeifendeckel, das ist ein altes, längst widerlegtes Vorurteil. Natürlich wurde lange nur zum Lobe des Herrn jubiliert, doch seit 1825 hat »Singen« im Stundenplan der Schulen seinen Platz – und mit der Gründung der typisch schwäbischen Liederkränze, beginnend um 1820, war mehr verbunden als die Liebe zum deutschen Lied. Hier begann sich eine bürgerliche Gesellschaft heranzubilden, die klassenlos war – zumindest für die Zeit, während der man miteinander sang.
Inzwischen pflegt der Schwabennachwuchs sein traditionelles Liedgut nur noch sporadisch und läßt dafür andere für sich singen und spielen: zum Beispiel die Fantastischen Vier, um die herum sich eine eigene Stuttgarter Hip-Hop-Szene gebildet hat, von Rapper Afrob bis zum Sänger Max Herre, der seiner Heimatstadt Stuttgart aus dem fernen Berlin eine Liebeserklärung gewidmet hat: »Ich mag deinen Anblick, / und daß du viele Sprachen sprichst, / lieb, daß du sowohl High Class als auch Straße bist.« Apropos High Class, die findet sich auch unter Schwabens Komponisten. Zum Beispiel bei Helmut Lachenmann und seinem Bühnenwerk »Das Mädchen mit den Schwefelhölzern«. Zum Beispiel beim Jazzpianisten Wolfgang Dauner, der als kreativer Kopf des international renommierten Jazz & Rock-Ensembles gilt. Man sieht, Schwaben können tatsächlich fast alles.
Natürlich auch bauen. Und das dank der berühmten Stuttgarter Architektenschule, die mit den Namen Paul Bonatz (Hauptbahnhof), Rolf Gutbrod (Liederhalle), Hans Kammerer (Calwer Straße), Fritz Leonhardt (Fernsehturm) eng verbunden ist, dank namhafter Planer wie Günter Behnisch, Richard Döcker, Max Bächer, Frei Otto und Hans Volkart bietet Stuttgart einen lebendigen Anschauungsunterricht, was sich aus Stein, Beton, Stahl und Glas formen läßt. Ganz zu schweigen vom Tagblatt-Turm E. Otto Osswalds, der ersten Stahlbeton-Konstruktion im Land; ganz zu schweigen von der berühmten Weißenhofsiedlung, zu der Woche für Woche viele Interessierte pilgern, um die Häuser von Le Corbusier (jetzt ein Museum), Gropius, Scharoun, Mies van der Rohe zu sehen. Noch heute bereitet es den Betrachtern eine Gänsehaut, sich vorzustellen, daß diese Demonstration modernen Bauens, von den Nazis als »Araberdorf« und »Schandfleck von Stuttgart« diffamiert, um 1940 fast abgerissen und durch eine größenwahnsinnige Ordensburg ersetzt worden wäre. Dagegen ist der Unfall mit dem seelenlosen Kleinen (Beton-)Schloßplatz überstanden. Sein Nachfolger ist das von den in Berlin ansässigen Stuttgarter Architekten Rainer Hascher und Sebastian Jehle entworfene Kunstmuseum. Dessen Glaskubus beherbergt nicht nur bedeutende Werke, etwa von Otto Dix und Oskar Kokoschka. Es läßt auch die Kultur mitten im City-Kommerz hell strahlen.
Farbiges Schwaben? Ja, auch die Malerei hat eine bunte Palette großer Talente hervorgebracht – von Christian Landenberger bis Willi Baumeister, von Hermann Pleuer bis HAP Grieshaber, Oskar Schlemmer und Manfred Henninger, von Heinrich von Zügel bis zum Meisterfälscher Konrad Kujau, dem Zugewanderten, dessen Gemäldekopien inzwischen selbst gefälscht wurden. Das typischste aller schwäbischen Bilder aber stammt von Theodor Schüz. Sein
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