Gebrauchsanweisung für Schwaben
Verschleimung ein Denkmal gesetzt, als Abgeordneter zog er in die Frankfurter Paulskirche ein, den Stuttgartern galt er als Bildungspapst. Dabei sagte er ihnen nicht nur Freundliches nach: »Meinen, sie haben die Gemütlichkeit gepachtet.«
Doch nicht nur diese Klassiker zeugen von der kreativen Tübinger Atmosphäre, sondern auch der Revolutionsdichter Georg Herwegh, 1817 in Stuttgart geboren. Allerdings mußte er das Stift wegen Trunkenheit, Lärmens und »beleidigenden Benehmens gegen zwei Repetenten« verlassen. Im Umsturzjahr 1848 wurde der Sänger des »Jungen Deutschland« zum tragischen Helden. Er kam, direkt aus dem Pariser Asyl, mit seiner Deutschen Demokratischen Legion zu spät zur Revolution nach Baden, wurde von württembergischen Truppen geschlagen, und mußte wieder emigrieren – zum Schluß seines Lebens ins Badische. Noch heute können wackere Schwaben, im Gegensatz zu vielen gewerkschaftlichen Streikposten, einen Vers aus seinem »Bundeslied« des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins auswendig: »Mann der Arbeit, aufgewacht! Und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will.«
Der einstige Stiftler und spätere Journalist Hermann Kurz lernte wegen »Ehrenkränkung vermittelst der Presse« im Jahr 1852 für einige Wochen das entbehrungsreiche Leben hinter den Gefängnismauern des Hohenaspergs kennen. Und Hermann Hesse (1877 bis 1962) aus Calw kam erst gar nicht bis ins Stift. Er floh nach einem halben Jahr aus dem Maulbronner theologischen Seminar, der Vorstufe des Stifts, und schrieb sich seine Nöte in dem Roman »Unterm Rad« von der Seele. Für einige Zeit landete allerdings auch er in Tübingen: als Buchhändlerlehrling und -gehilfe bei Heckenhauer.
Doch, doch, es gab auch dichterische Begabungen außerhalb des Stiftes. Und welche! Christoph Martin Wieland (1733 bis 1813), der Satiriker und Goethe-Freund aus Biberach, der neben Lessing als bedeutendster deutscher Dichter der Aufklärung galt. Dazu Ludwig Uhland, der Tübinger, dem laut einer Biographie »die Liebe und Verehrung des Volkes zugeflogen ist« wie keinem anderen deutschen Dichter. Und das, obwohl er Landtagsabgeordneter war und Mitglied des Paulskirchen-Parlaments – ein nüchterner Mann, der sich in seinen patriotischen Gedichten auslebte, von »Schäfers Sonntagslied« (»Das ist der Tag des Herrn!«) über »Die Kapelle« (»Droben stehet die Kapelle, schauet still ins Tal hinab«) bis zum »Frühlingsglauben« (»Die linden Lüfte sind erwacht, sie säuseln und weben Tag und Nacht …«).
Uhland war ein Leben lang mit dem Dichter und Arzt Justinus Kerner (1786 bis 1862) befreundet. So schwäbisch-schwermütig der manchmal war (»Kummer und Tränen verzehren mich«), so gastfreundlich war sein Weinsberger Haus. Von seinen Geistersehereien und seinen mondsüchtigen Patienten erholte er sich beim schwäbischen Wein; zehn Viertele pro Tag waren keine Seltenheit. Seinen Dank stattete er auf seine Weise ab. Den im Herzen königstreuen Württembergern schenkte er nicht nur eine heilsame Studie über Wurst- und Fleischvergiftungen, sondern auch die Landeshymne »Der reichste Fürst«: »Eberhard der mit dem Barte, / Württembergs geliebter Herr, / sprach: ›Mein Land hat kleine Städte, / trägt nicht Berge silberschwer. / Doch ein Kleinod hält’s verborgen: / Daß in Wäldern noch so groß, / ich mein Haupt kann kühnlich legen, / jedem Untertan in Schoß.‹« Welcher Ministerpräsident könnte das heute noch von sich sagen?
Zwischen Tigern und Leuen
Und Schiller? Der Stürmer und Dränger, der zum Klassiker im Dichterolymp aufstieg? Nein, ihn ließen Vater Johann Kaspar und Herzog Karl Eugen nicht ins Tübinger Stift einrücken, sondern rekrutierten ihn für die Hohe Karlsschule in Stuttgart, wo Jurisprudenz, Militaria und Medizin gelehrt wurde. Keine Sorge, wir werden jetzt nicht die ganze Geschichte erzählen: von der Geburt 1759 in Marbach am Neckar als Sohn eines Hauptmanns und einer Bäckerstochter bis zur Flucht nach Mannheim – in jener finsteren Nacht 1782, als Landesherr Karl Eugen, der ihn kurz vorher hatte einsperren lassen, auf Schloß Solitude ein Fest gab. All das ist aus Anlaß seines 200. Todestags im Jahr 2005 landauf, landab geschrieben, erzählt, aufgeführt, gefeiert worden. Nur soviel: Wer die Zustände im autoritär regierten, bürokratisch-griffelspitzerisch verwalteten Württemberg kennenlernen will, greife wieder einmal zu dem 1784 erschienenen bürgerlichen
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