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Gebrauchsanweisung für Schwaben

Gebrauchsanweisung für Schwaben

Titel: Gebrauchsanweisung für Schwaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Hunger
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anderen aus puristischen Gründen dagegen: Petersilie und Schnittlauch seien grün genug. Das ist zwar nicht parteipolitisch zu verstehen, doch die Fronten dieses Kulturkampfs gehen mitten durch Familien, entzweien Schwiegermutter und Schwiegertochter, falls zweitere überhaupt noch des Kochens mächtig ist. Es ist ein Glaubenskrieg, der erst dann ein Ende finden könnte, wenn dereinst alle Maultaschen fabrikmäßig gefertigt werden. Dann sind sie alle mit jener maschinell hergestellten, anonymgraubraunen Füllung gestopft, deren Zutaten nicht einmal mehr ein Gerichtsmediziner identifizieren kann.
    Wahrscheinlich hätte ein bürokratisches Fallbeil der Maultasche längst ein unseliges Ende bereitet, wenn da nicht die bereits erwähnte schwäbische Sozialministerin Annemarie Griesinger aus der alten Reichs- und Schäferlaufstadt Markgröningen gewesen wäre.
    Die Ministerin wurde eines Tages von einem ihrer Referenten mit dem Alarmruf aufgeschreckt: »Brüssel bedroht unsere Maultaschen.« Die Eurokraten wollten mit einer neuen Hackfleischverordnung der Gesundheit des Kontinents einen Gefallen tun und verbieten, daß Wurstbrät – eine unverzichtbare Zutat der klassischen Maultasche – weiterhin in rohem Zustand verkauft werde. Die Ministerin, eine lustvolle Esserin, erkannte die drohende Katastrophe und sprach auf gut schwäbisch: »Noi, net mit mir.« Und dann schwor sie die Sozial- und Gesundheitsminister der damaligen Bundesländer – ob CDU, ob SPD oder FDP – darauf ein, daß die neue Brüsseler Brätregel liberaler formuliert werden müsse. Zur Nachhilfe ließ sie die Damen und Herren in einem renommierten Ludwigsburger Hotel, das ausgerechnet dem Herzog von Württemberg gehört, so lange mit Maultaschen traktieren, bis alle ihren Segen erteilt hatten. Zur Belohnung bekamen sie dann noch ein Rezeptbuch geschenkt, damit ihre Frauen sie auch zu Hause mit der Köstlichkeit verwöhnen könnten. Seither gilt Annemarie Griesinger landauf, landab als »Retterin der Maultasche«, und die Narrengesellschaft von Ditzingen bei Stuttgart hat ihr dafür ihren höchsten Orden verliehen. Zu Recht.
Am Gründonnerstag in der Brühe
    So dürfen also die schwäbischen Hausfrauen weiterhin und straflos am Gründonnerstag ihre Maultaschen fabrizieren. Die einen walzen den Nudelteig selbst aus, die anderen kaufen ihn fertig beim Bäcker, und dann wird die Fülle geknetet: aus Milchwecken, Hackfleisch, Brät, Spinat oder auch nicht, Eiern und Gewürzen. Zur Sicherheit wird gleich ein Riesenvorrat angefertigt und Teile davon eingefroren, damit der Hausherr auch noch Monate später seine sinnlichen Gelüste stillen kann: »Schätzle, könntescht du net amol wieder Maultaschen machen?« Liebe geht halt durch den Magen.
    Für den zeitnahen Verzehr gelten allerdings klare Regeln. Am Gründonnerstag gibt es die ersten frischen Exemplare »en dr Briah«, also in der Brühe. Am Karfreitag werden die Schwabentaschen mit Zwiebeln geschmälzt serviert. Und am Karsamstag gibt es sie in Streifen geschnitten und in Ei geröstet. Natürlich immer mit Kartoffelsalat, der frisch angemacht sein muß, weil sonst die Gesundheit der Esser in Gefahr wäre.
    Nun hat jeder Schwabe seine Lieblingsform dieser Delikatesse. Von den Taschen in der Brühe lassen sich, rein stückzahlmäßig, mehr verzehren, die in Ei gewälzten sind würziger, abwechslungsreicher, schon farblich. Denn die Maultasche an sich ist, rein optisch, kein Feuerwerk. Der Schriftsteller Thaddäus Troll hat einen makaberen Vergleich gezogen: »Diese Maultaschen schwimmen wie Wasserleichen in der Brühe«; sie entbehrten in ihrer »leichenfarbenen Hülle aus Nudelteig« jedes optischen Reizes und wirkten deshalb »appetitzügelnd«. Das hat Troll, der fröhliche Esser und Trinker, nur deshalb so drastisch ausgedrückt, um zu verhindern, daß immer mehr heimische Maultaschen von Auswärtigen verzehrt werden und der hungrige Schwabe bald seine Zuflucht zu Döner & Co. nehmen muß.
    Was Troll aber nicht ahnen konnte: Ausgerechnet der Stuttgarter Gastronom Jörg Mink belädt täglich den Germanwings-Flieger »Mhhhh, Baden-Württemberg« mit frischen Maultaschen für die Hauptstadt. Sein Restaurant Mink’s auf dem Kurfürstendamm ist ein Renner, seine Kundschaft stabil: Rund 200 000 Schwaben leben in Berlin und ernähren beim Kosten gleichzeitig den Wirt. Vermutlich einträglicher als in Stuttgart-Möhringen.
    Natürlich wird die Maultasche, eigentlich eine ganz individuelle Komposition,

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