Gebrauchsanweisung für Schwaben
gefüllt – siehe Bruttosozialprodukt – und dementsprechend ausgebeult. Leere Taschen haben angeblich nur die Stadtkämmerer im Südwesten, weshalb sie lustvoll und lauthals jammern. Mit dem Maul, die Maulhelden.
Unter eingeborenen Schwaben ist das Wort Maul eine durchaus salonfähige Bezeichnung für jene Öffnung im Gesicht, die anderswo mit »Mund« umschrieben wird. Was empfahl einst Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier – jener Schwabe aus Kirchheim / Teck, der in Bonn den »Langen Eugen«, das Abgeordnetenhaus und jetzige Uno-Quartier, bauen ließ – der damals jugendlichen CDU-Abgeordneten und späteren baden-württembergischen Sozialministerin Annemarie Griesinger zum Einstand im Bundestag? »Neisitze, zuhöra, Maul halta.« Auch eine traute Unterhaltung im Familienkreis zeigt, wie salonfähig der Ausdruck ist. Sagt der erste Sohn: »Vatter, dir hängt a Haar am Riassel!« (der Knabe meint: am Rüssel, was ein anderes Synonym für Mund ist). Kontert der zweite Sohn: »Vatter, dem tät i oine an d’Gosch naschlage, wenn der zu deim Maul Riassel sagt.«
Damit hätten wir die Übersetzung geschafft. Eine Maultasche ist nicht einfach eine »schwäbische Flachnudel«, wie es in einem Gastrolexikon heißt. Eine Maultasche ist ein mit Liebe und edlen Zutaten gefülltes Teigtäschchen, das die Mundhöhle des Essers aufs Lieblichste füllt und seine Geschmacksknospen liebkost. Nebenbei: Die Theorie, daß der Name von einer tirolerischen Gräfin von Maultasch stamme, wird vor allem in Bad Urach am Albtrauf gepflegt. Aber die Logik spricht gegen sie. Der Landmann hat seine Speisen noch nie nach Frauen benannt, und die Köchinnen selbst waren viel zu bescheiden dazu. Wobei eine Gräfin, halten zu Gnaden, sowieso nicht selbst gekocht hätte.
Die Frage ist nur: Wann und wo wurde die Maultasche erfunden – und zu welchem Zweck? Eine schnöde Erklärung besagt, sie sei einfach eines der zahlreichen schwäbischen Beispiele für eine sinnvolle Resteverwertung, frei nach dem Motto: »Bei uns verkommt nix«. Tatsächlich könnte es damit zu tun haben, wenn auch in einem geistlichen Zusammenhang.
Eine im Land verbreitete Geschichte besagt nämlich, daß die Maultasche zu den »grünen« Mahlzeiten, also zu den Fastenspeisen gehört, die einst am Gründonnerstag zubereitet und am Karfreitag verspeist wurden – eine Vorläuferin der vegetarischen Ernährung also. Nun sollen, irgendwann in Zeiten des Dreißigjährigen Krieges, Mönche auf eine undurchsichtige Weise zu einem Stück Fleisch gekommen sein. Nicht irgendwelche Mönche, sondern Zisterzienser aus dem 1147 gegründeten Kloster Maulbronn.
Diese Mönche waren zwar gottesfürchtig, aber auch immer hungrig – und schwäbische Schlitzohren dazu. Also hackten sie das Fleisch zu Brei, mischten diese Gabe des Himmels unter allerlei Grünzeug und verpackten das Ganze schließlich in einen Teigbeutel. Daß sie damit den lieben Gott bescheißen, also hintergehen wollten, was der Name »Herrgotts-Bscheißerle« für Maultaschen unterstellt, ist unsinnig. Denn wenn der Herr in die Seelen seiner Diener sieht, weshalb dann nicht auch in die Maultäschle?
Nein, es reichte völlig, daß der Prior glaubte, seine geistlichen Untertanen hielten sich streng an die Fastengebote. Er jedenfalls tat es – denn für ihn hatten die Klosterköche vorsichtshalber ein paar rein pflanzliche Exemplare reserviert.
Ein kerngesundes Essen
Eines konnten die Mönche, die damals ihre Maultaschen mit Kartoffelsalat aßen und mit ein, zwei Gläsern Maulbronner Eilfingerberg hinunterspülten, nicht wissen: Maultaschen sind, richtig gemacht, ein kerngesundes Essen. Das erkennt man nicht nur an der gutgepolsterten Silhouette mancher Esser, das belegt sogar eine Nährwertanalyse. So enthalten 100 Gramm Maultaschen – also ein hausgemachtes Exemplar – nur 180 Kilokalorien oder 754 Kilojoule, was etwa 0,7 Broteinheiten entspricht. Sie enthalten rund zehn Gramm Kohlehydrate, ebensoviel Eiweiß und Fett, nur 101 Milligramm Cholesterin, dafür aber viele Mineralstoffe und Vitamine. Ist es da ein Wunder, daß Maultaschenesser immer so propper aus der Wäsche schauen?
Allerdings sind die Analysewerte nicht immer konstant. Das hängt mit einem uralten Streit unter schwäbischen Hausfrauen zusammen, der wohl noch bis zum Jüngsten Tag andauern wird. Der Konflikt entzündet sich an der Frage: Darf Spinat in die Maultaschen – oder soll er nicht? Die einen sind des Wohlgeschmacks wegen dafür, die
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