Gebrauchsanweisung für Schwaben
immer mehr zum Opfer der allgemeinen Inflationierung aller Werte. Da dienen Schnecken, Hasen, Hummer und Krabben als Füllung. Da gibt es dann, bei Stadtfesten und Benefizauftrieben, sogenannte Maultaschen-Wettessen. Bei denen siegt, wer sich in kürzester Zeit ein Maximum von Schwaben-Ravioli durch den Schlund drücken kann. Außerdem finden sich im Schwäbischen gleich mehrere sogenannter Maultaschen-Weltmeister. Diesen Titel haben sich die Herren erworben, weil sie im Schweiße ihres Angesichtes mal die meisten, mal die längsten, mal die größten Exemplare geformt, gefüllt, gerädelt und portioniert haben. Die Rekorde liegen bei 2000 gebastelten Maultaschen in der Stunde oder einem Riesenexemplar von über einem Kilometer Länge. Was immer man von solchen übermenschlichen Leistungen halten mag – es ist tröstlich, daß der Titel, so oder so, im Land geblieben ist. Einem Preußen oder einem Sachsen hätten die Württemberger eine solche Rekordsucht im Umgang mit ihrer Lieblingsspeise nie verziehen.
Haben wir gerade »Schwaben-Ravioli« gesagt? Ja, und das nicht ohne Bedacht. Denn auch wenn feststeht, daß die Schwaben die Erfinder der Maultasche sind – und das steht so fest wie der Stuttgarter Fernsehturm –, dann ist nicht zu leugnen, daß andere Völkerschaften auf ähnliche Ideen gekommen sind. Zum Beispiel die Chinesen, mit denen die Schwaben die Lust zu allerlei Teigwaren (dumplings! ) verbindet, und unsere italienischen Freunde. Unbestreitbar ist, daß es auch südlich des Großglockners eine alte Teigtaschen-Tradition gibt – ein Grund dafür, daß die italienische Gastronomie im Württembergischen besonders viele Anhänger und damit auch besonders viel Erfolg hat.
Wer aber ganz genau hinschaut, entdeckt sogar im eisigen Sibirien Teigtäschchen, und auch in Japan und in Argentinien. Die einen heißen pelmeni, die anderen gyoza oder empanadas.
Egal, wie viele Taschenerfinder es auf der Welt gegeben haben mag: Die Maultaschen läßt sich zwischen Ulm und Freudenstadt niemand nehmen. Zum einen, weil sie so gut schmecken. Zum anderen aber auch, weil sie ein überzeugendes Symbol für die am Neckar und seinen Seitentälern weitverbreitete Verpackungskunst sind, frei nach dem Motto: »Mehr sein als scheinen«. Oder: »Nicht auf die Hülle kommt es an, sondern auf die inneren Werte.« Daran orientieren sich noch heute viele im Schlabberlook herumflanierende schwäbische Jungdamen, also Mädla, daran orientiert sich auch der Fabrikant, der sich zu Kundenbesuchen und für die Visite im Finanzamt in seinen ältesten Anzug, Marke Mittelstandshilfe, wirft – es könnte ja sonst jemand meinen, er gehöre zu den Besserverdienenden und wähle FDP.
Insofern sind die Maultaschen nicht nur ein landestypisches Sinnbild, nein: Jeder rechte Schwabe ist sozusagen ein personifiziertes Maultäschle – oder er singt das Lied »I möchte so gern a Maultasch sei, ond du, du wickelsch me dann ei …« Doch ehe wir jetzt ins Transzendente abgleiten, seien lieber reizvolle Rezepte vorgestellt.
Maultaschen in der Praxis
Schwäbische Maultaschen (für sechs bis acht Portionen)
500 Gramm Nudelteig, gekauft oder gefertigt aus 400 Gramm Weizenmehl, eventuell mit Hartweizengrieß gemischt, vier Eier, acht Eßlöffel Wasser, eine Prise Salz.
Für die Füllung: 250 Gramm gemischtes Hackfleisch, 200 Gramm Kalbsbrät, 250 Gramm Spinat, zwei alte, eingeweichte Brötchen, ein Bund Petersilie, zwei Eier, Pfeffer, Muskat. Je nach Geschmack noch ein wenig gerauchten Speck.
Dazu: ein Eiweiß, vier Zwiebeln, 50 Gramm Butter, Fleischbrühe.
Den Nudelteig kneten und dünn ausrollen. Hackfleisch, Brät, Brötchen blanchieren, grob gehackten Spinat, gehackte Petersilie und Eier zu einem Teig verarbeiten, mit Salz, Pfeffer und Muskat abschmecken.
Den auf einem bemehlten Brett ausgerollten Teig in etwa zehn Zentimeter große Quadrate schneiden. In die Mitte einen Eßlöffel Farce plazieren, die Ränder mit Eiweiß bestreichen, ein gleichgroßes Stück Teig obenauflegen, die Ränder gut andrücken. In leicht kochendem Salzwasser zehn Minuten ziehen lassen. Man kann den Teig auch in etwa 25 Zentimeter breite Bahnen schneiden, die Fülle in der Mitte auftragen, den oberen und unteren Rand mit Eiweiß bestreichen und dann die Ränder über die Fülle klappen und andrücken. Mit einem Messer beliebig große Stücke abtrennen, die Ränder andrücken und ins mild kochende Wasser legen.
Die geschälten Zwiebel in Ringe
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