Gebrauchsanweisung für Schwaben
alle Erfinder auch Pietisten gewesen wären. Berthold Leibinger, der Seniorchef des Maschinenbauunternehmens Trumpf und frühere Korntaler Gymnasiast, vertritt eine andere These: Pietismus und Feinmechanik hätten »keine selbstverständliche Symbiose« entwickelt. Es seien oft die Söhne von Pietisten gewesen, die unternehmerisch tätig geworden seien: »Sie brachten Gedanken des Pietismus in ihre Arbeit ein, ohne selbst am pietistischen Leben teilzunehmen.«
Von den Neuerern seien stellvertretend genannt: Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach (Automobil), Ferdinand Graf von Zeppelin (lenkbares Luftschiff), Wilhelm Emil Fein (elektrische Bohrmaschine), Matthias Hohner (Mundharmonika), Margarete Steiff (Stofftiere), Friedrich Wilhelm Märklin (elektrische Modelleisenbahn), Robert Bosch (Magnetzünder, Zündkerze), Ernst Heinkel (düsengetriebenes Flugzeug), Artur Fischer (Dübel), Louis Leitz (Ordner), Richard Hirschmann (Bananenstecker) und Waagen-Erfinder Wilhelm Kraut, über dessen Produkt der Volksmund spottete: »Es ist der Trost der toten Sau, Bizerba wiegt sie ganz genau«.
In der Tat weist die Statistik Baden-Württemberg eindeutig als Heimat der Tüftler, der sogenannten Brettlesbohrer, aus. Es gibt keinen Landstrich in Europa, wo so viele Patente pro Kopf der Bevölkerung angemeldet werden wie in Deutsch-Südwest. Was die Städte betrifft, so steht Stuttgart mit über 140 Patenten pro 100 . 000 Einwohner an erster Stelle auf dem alten Kontinent. Der Erfindungsreichtum steht in krassem Gegensatz zu den fehlenden natürlichen Rohstoffen. Außer Salz und Mineralwasser gibt es nichts zwischen Bodensee und Neckarmündung, was eine Industrialisierung begründen könnte; keine Erze, keinen Stahl (von einem Klacks längst abgebauten Brauneisens bei Aalen abgesehen), keine Kohle, kein Aluminium, kein Öl – nur geistige Kräfte und handwerkliche Geschicklichkeit. Es herrschte im vorindustriellen und vorkapitalistischen Zeitalter die blanke Not. Selbst die Acker waren auf der Schwäbischen Alb nur Steinwüsten; Milch und Honig flossen anderswo.
Tüfteln und verzichten
Der Soziologe Max Weber entwickelte aus diesen Beobachtungen eine eigene Theorie (»Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus«), mit der er den Schwaben gleichsam ein Denkmal setzte: Rohstoffarmut plus Protestantismus gleich Leidenschaft für das Tüfteln und Kapitalakkumulation durch Verzicht. Die Grundlage für den Kapitalismus könnte nicht besser definiert sein. Tatsächlich klingt Max Webers These plausibel, wonach die protestantische Lehre den Unternehmungsgeist des Menschen beflügelt. Weber stellte sich damit in Gegensatz zu Karl Marx, der die Sache gerade umgekehrt sieht: Erst der Unternehmungsgeist und die Tüftelei habe die protestantische Religion ermöglicht (»Das Sein bestimmt das Bewußtsein«).
Heute wird Weber wieder angezweifelt – und zwar von Wirtschaftshistorikern, die vergleichende statistische Analysen zu anderen Ländern und Regionen anstellten. Danach kommen etwa die zum Teil katholischen – jedenfalls selten pietistischen – Badener auf die annähernd gleiche Zahl von Unternehmensgründungen wie die Württemberger. In Mecklenburg-Vorpommern – ebenso rohstoffarm und ursprünglich einmal evangelisch – müßte es nach dieser Logik ebenso sein. Ist es aber nicht, Mecklenburg-Vorpommern schafft gerade mal ein Zehntel der Erfindungen Baden-Württembergs. Thomas Herzig vom Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim stellt deshalb resignierend fest: »Es gibt keine wirklich überzeugende Theorie, warum der deutsche Südwesten so viele Erfinder hervorbringt.«
Wenn die Begründung also wissenschaftlich nicht funktioniert, dann könnte doch der spezielle schwäbische Protestantismus und seine Sonderform, der Pietismus, eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls haben auch spätere Erfinder wie Robert Bosch, Friedrich Voith oder Wilhelm Kraut ihre Wurzeln im Pietismus, also in einer strengen Innerlichkeit. Und in einer starken Moral. So hat Robert Bosch, der bei weitem nicht so »rot« war, wie er später gern gemacht wurde, seinen leitenden Mitarbeitern ins Stammbuch geschrieben: »Jede Arbeit ist wichtig, auch die kleinste. Es soll keiner sich einbilden, seine Arbeit sei über die seiner Mitarbeiter erhaben.« Und seiner Firma gab er eine Art Grundgesetz mit auf den Weg: »Immer habe ich nach dem Grundsatz gehandelt: lieber Geld verlieren als Vertrauen. Die Unantastbarkeit meiner Versprechungen, der Glaube
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