Gebrauchsanweisung für Schwaben
Gott an seinen Platz gestellt, ob in der Industrie, dem Handel, der Landwirtschaft oder draußen in der alten Pietistengemeinde Korntal, die sich immer als »Wartestation auf das Kommen des Herrn« verstand. Der Schwabendichter Ludwig Finckh aus Reutlingen faßte das so zusammen: »So ist es uns von Gott gegeben, Frau und Mann, / Unsereiner kann nur leben, wenn er schaffen kann. / Auf Erden seine Kraft erproben – ausruhen dann im Himmel droben.« Klar, die Zehn Gebote gelten für den Pietisten genauso wie für den klassischen Protestanten oder den Katholiken. Was ihn unterscheidet, ist auch nicht unbedingt die fromme Überzeugung – die findet man auch unter anderen Glaubensbekenntnissen. Nein, es ist die Lebensführung, die das eigene weltliche Tun wie das der anderen an der religiösen Meßlatte mißt. Das gilt für das Leben und Lieben, für Lernen und Arbeiten, auch für die Beurteilung von Staatskunst und Regierungsarbeit. Also doch eine innere Verwandtschaft mit den Islamisten? Zumindest insoweit, als daß im Zweifel allein das Wort gilt – das der Heiligen Schrift. Deshalb gab es – trotz all der Dichter und Poeten rundum – in vielen schwäbischen Haushalten früher nur die Bibel und das Starksche Gebetbuch. Das Buchstabieren und Lesen lernten die Schwabenkinder noch im vorletzten Jahrhundert hauptsächlich anhand religiöser Texte aus dem Spruchbuch oder dem Gesangbuch. Oder auch mit Hilfe des ABC-Büchleins, einer »Sammlung von auserlesenen Wörtern, Namen, Biblischen Sprüch- und Gebettlein, samt dem Brenzischen Catechismo«. Johannes Brenz aus Weil der Stadt (1499 bis 1570) war der württembergische Reformator gewesen.
Gegen Luxus und Fleischeslust
Ein fester Glaube und religiöse Tugenden waren, vor allem in ländlichen Gegenden, das Rüstzeug für das Leben. Bei den Pietisten kamen ein paar weitere Ziele dazu: das Priestertum aller Gläubigen – weshalb der Pfarrer im Kreise seiner »Brüder« keinen Talar trug – und die »lebendige Verkündigung«, die auch erzieherischen und missionarischen Eifer mit einschloß. Mißtrauisch beäugt, ja schroff abgelehnt wurden und werden zum Teil noch heute jeder lebenslustige, weltliche Frohsinn, der Luxus, die Unmäßigkeit, die Fleischeslust sowieso. Während für den Katholiken der Fasching zum Kirchenjahr zählt wie Ostern und Weihnachten, ist für den Pietisten diese lustbetonte Ausgelassenheit vor der Fastenzeit schlicht Sünde. Noch heute kommt es in pietistischen Landstrichen vor, daß Erzieherinnen am Faschingsdienstag maskierte, bemalte oder verkleidete Kinder wieder nach Hause schicken. Äußerliche Reizmittel sind jedenfalls verpönt, gleichgültig aus welchem gesellschaftlichen Anlaß. Fleiß, Sparsamkeit, Gottgefälligkeit, das waren die Gebote.
Es ist ein Teil jenes Mutterbodens, auf dem der »schwäbische Tüftler« gedieh. Moderne Psychologen würden diese Tugend heute als Sublimierung beschreiben. Weil er auf viele Lustbarkeiten des Lebens verzichten mußte, experimentierte der Tüftler so lange in seinem Kämmerlein, bis er die Lösung eines Problems gefunden hatte: für sich zur Befriedigung, für die Welt zum Gewinn, und ansonsten Gott zur Ehre.
Als Prototyp dieser kongenialen Verbindung von Frömmigkeit, Lustverzicht und Erfindergeist galt der pietistische Pfarrer Philipp Matthäus Hahn (1739 bis 1790), geboren in Scharnhausen auf den Fildern. Er machte sich nicht nur einen Namen als »Schwabenvater« durch seinen geistlichen Dienst in den Pfarreien von Onstmettingen, Kornwestheim und Echterdingen. Durch seine feinmechanischen Erfindungen (unter anderem Fernrohr, Rechenmaschine, Neigungswaage) stieg er zu einem der ersten Start-up-Pioniere auf und gab durch seine Waagenproduktion in Onstmettingen der späteren Zollern-Alb-Region entscheidende industrielle Impulse. Nach seinem Tod vermeldete sein Dekan dem kirchlichen Konsistorium in Stuttgart: Der Magister sei ein »tiefer Selbstdenker« gewesen, der sich nicht nur bemüht habe, »das Reich Christi auszubreiten«, sondern der auch »privatim die Wissenschaften« befördert habe – »besonders in mathematischen und astronomischen Sachen«. So habe er sich und seinem erfinderischen Geist »hienieden« ein rühmliches Denkmal schon dadurch gesetzt, daß er die »von dem berühmten Leibniz zwar etwas angefangene« Rechenmaschine vollendet habe.
Ingeniöse Pietistensöhne
Dieses Vorbild fand Nachahmer. Von da an blühte das Erfindertum im Land auf, wobei nicht gesagt sein soll, daß
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