Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung für Schwaben

Gebrauchsanweisung für Schwaben

Titel: Gebrauchsanweisung für Schwaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Hunger
Vom Netzwerk:
in Nazi-Deutschland wurde dieses tragfähige Gerüst positiv registriert. Die württembergische Landeskirche war eine der wenigen, die unter ihrem Bischof Theophil Wurm zusammenhielt und sogar gegen den Gauleiter Wilhelm Murr opponierte. Bonmot aus den braunen Jahren: »Den Murr wurmts, daß der Wurm murrt.« Das tat er oft und mit Erfolg. Auch das erste öffentliche Schuldbekenntnis evangelischer Kirchenführer, während der Nazi-Herrschaft gefehlt zu haben, wurde nach dem Krieg in Stuttgart formuliert.
Stiftler und der Pietcong
    Geistiges Zentrumder Protestanten war das Tübinger Stift. Es bildete die Theologen aus, sorgte auch für dauernden Pfarrerzufluß in die Gemeinden. »Es gibt wohl keine Bildungsinstitution in Deutschland, die unsere Geistesgeschichte so bereichert hätte, wie das Tübinger Stift«, urteilte Erhard Eppler, schwäbischer Pfarrersohn und sozialdemokratischer Vordenker. »Pietcong« nannte ihn deswegen einst Herbert Wehner, eine nicht gerade freundliche Anspielung auf Epplers pietistischen Hintergrund und seinen Kampfgeist. Leicht spöttisch antwortet Eppler mit Bezug auf das Tübinger Stift: »Daß Hegel, Hölderlin und Schelling als Stiftler miteinander diskutierten, wissen die wenigsten der chinesischen und russischen Kommunisten, die sich auf jenen Karl Marx berufen, der Hegel vom Kopf auf die Füße stellen wollte.«
    Nicht gerade im Tübinger Stift, aber spätestens in den Pfarrhäusern, in den Betstunden und im »organisierten« Gemeindeleben pflegte man zur Bildung der eigenen Identität auch Feindbilder. An erster Stelle der Widersacher standen die Katholiken, die man als »scheinheilig« einstufte. Darauf folgten später die »Sozen« und Freidenker, weil die an gar nichts glaubten, doch das war weniger schlimm als die Scheinheiligkeit. Schließlich ergänzten die Preußen das Spektrum der natürlichen Gegner. Anders als bei den Bayern trug das flüssigere, gepflegtere Deutsch der Nordlichter, also die »große Gosch«, zu der Abneigung der Schwaben bei. Schwäbisch galt nicht nur im privaten wie dienstlichen Umgang als salonfähig, insbesondere das höhere Pfarrhausschwäbisch – es galt vor allem als das ehrlichere Idiom. »Der Dialekt ist die Seele der Sprache«, hat der ehemalige, aus dem Südwesten stammende Dresdner-Bank-Vorstand Manfred Meier-Preschany herausgefunden.
    Mit dieser klaren Frontstellung konnte man gleichermaßen in der Politik und der Staatsverwaltung etwas werden und den protestantisch-pietistischen Geist in das öffentliche Leben hineintragen. Der Pfarrer galt in der Gemeinde etwas, als Akademiker mehr jedenfalls als der Dorfschultheiß. Mit seinem Einfluß war er Teil der Obrigkeit. Schließlich war er Vorsitzender des Kirchenkonvents, in dem nicht nur liturgische Themen besprochen wurden, sondern auch anstößige Verhaltensweisen von Gemeindeschäflein. So mußte sich ein so genialer Erfinder wie Philipp Matthäus Hahn pfarramtlich mit Faulpelzen, Almosenempfängern und illegitimen Beischläfern herumschlagen samt deren im fünften Monat schwangeren Bräuten. Der Einfluß dieser Konvente war oft stärker als jener der weit entfernten Stuttgarter Obrigkeit.
    Keine Frage, Kirche war im Schwäbischen eine Macht mit großem Einfluß auf geistlichem, geistigem wie auf weltlichem Terrain. Dieser Einfluß wurde gepflegt und ausgeübt. Das galt auch, vor allem in ländlichen Gegenden, für die Aufsicht über kommunale Kindergärten. Erzieherinnen wurden vom Kirchengemeinderat auf ihre Glaubensfestigkeit gemustert und eingestellt oder – wenn nicht fromm genug – auch abgewiesen. Dies geschah und geschieht unter Duldung der weltlichen Gemeindemacht, die den Bau der Kindergärten finanziert und die Erzieherinnen bezahlt. Daß gegen eine solche Infiltration kein sozialdemokratischer Kandidat oder Amtsträger erfolgreich anrennen konnte, lag in der Verschmelzung von Pfarrhaus und Rathaus. Der Bürgermeister, selbst wenn er liberalerer Herkunft war, traute sich nicht gegen die kirchliche Autorität aufzutreten. Sie wäre in der Lage gewesen, dem Gemeindeoberhaupt jede politische Niederlage zuzufügen – spätestens bei der nächsten Wahl.
Schock für Betstundengänger
    Das alte Württemberg war protestantisch. Erst Napoleon hat am Anfang des 19. Jahrhunderts aus dem Herzogtum Württemberg ein Königreich gemacht und Oberschwaben, Hohenlohe sowie Reichsstädte wie Ulm, Heilbronn, Reutlingen, Schwäbisch Hall oder Rottweil hinzugeschlagen. Mit diesem Wurf wurde aus dem

Weitere Kostenlose Bücher