Gebrauchsanweisung für Schwaben
protestantischen Württemberg ein Reich, das zum Unglück aller »Betstundengänger« auch ein Drittel Katholiken beherbergte.
Komplett harmonisiert hat sich dieser Kontrast trotz aller Ökumene bis heute nicht, auch wenn die Globalisierungsideologen und die modernen Multi-Kulti-Säusler dies geflissentlich übersehen. Aber wer am Faschingsdienstag vom evangelischen Tübingen ins fünf Kilometer entfernte katholische Rottenburg (Sitz der Erzdiözese Rottenburg-Stuttgart) reist, kann die Konfessionsgrenze nicht mehr ignorieren. Während in Tübingen einfach weitergeschafft wird als wäre nix, ist in Rottenburg der Bär los. In den Wirtshäusern und auf den Straßen wird gefeiert. Wenn es die Februar-Temperaturen zulassen, sind die Mädchen, wenn auch »narret« geschminkt, nur leicht bekleidet. An jeder Ecke, in jedem Gasthaus spielt eine Blaskapelle und das Remmidemmi geht bis weit nach Mitternacht, bis eben die Fastenzeit anbricht. Dann müssen auch die Weiberei, die Wollust, die Völlerei und das Besäufnis ein Ende haben.
Überhaupt die Konfessionsgrenze. Wer sie sucht, braucht am Faschingsdienstag nur einige Ortschaften auf der südlichen Seite der Schwäbischen Alb abzuklappern. Dort, wo tagsüber schon gefeiert, geschunkelt und gesungen wird, ist man im katholischen Teil des Landes. Dort, wo aus Trotz, aber mit hohem Befriedigungsgrad, gearbeitet wird, im evangelischen Teil. Man arbeitet an diesem Tag bevorzugt im Freien, damit auch jeder sehen kann, daß man mit den scheinheiligen Katholiken nichts am Hut hat. Die haben es ja leicht: Die können ihre Fleischessünden hernach beichten …
Damit es aber nicht so aussieht, als gebe es Arbeitsethik nur auf der protestantischen Seite, sei an den barocken Prediger und Schimpfer Johann Ulrich Megerle alias Abraham a Sancta Clara erinnert, der aus der Gegend von Meßkirch stammte und unter anderem gegen die Faulheit wetterte: »Der Müßiggang ist der Tugend Stiefvater, des Teufels Faulbeet, der Rost eines ehrlichen Gemüts, der Tugend Untergang, der Laster Anfang.« Katholische Autoritäten ließen im Jahre 1772 untersuchen, weshalb der Wohlstand in evangelischen Gegenden stärker zunehme als in christkatholischen. Ergebnis: Weil die Protestanten keine Klöster hätten, sei Fleiß die einzige Quelle ihrer Nahrung. Außerdem versäumten sie keine Zeit mit langen Gottesdienstritualen und Wallfahrten, und sie könnten, weil sie weniger Feiertage hätten, »an einem Stück fortarbeiten«.
Ordnung und Sauberkeit
Aus dieser vielzitierten Schaffwut, die es anderen gern zeigt, resultiert auch die berühmte Kehrwoche. Im evangelischen Württemberg kam ab dem 15. Jahrhundert eine Vielzahl von Erlassen heraus, wobei nicht wenige davon formuliert wurden, um die Menschen zu »Ordnung und Sauberkeit im häuslichen Umfeld« anzuhalten. Es muß den Schwaben wie eine göttliche Eingebung vorgekommen sein. Sie haben nicht gemault, sie haben nur noch geputzt. Für Zugezogene ist die Kehrwoche ein Greuel, für manche gar ein Eingriff in die Privatsphäre, und für Radikale, also zugezogene Katholiken, Sozen oder Preußen, schlicht eine »Sauerei«. Er sei nach seiner Pensionierung von Stuttgart nach München gezogen, schrieb ein Journalist seinen Kollegen von der »Stuttgarter Zeitung«. Dort gebe es »keine Kehrwoche, nur eine Karwoche«. Und die sei leichter auszuhalten.
Ganz offensichtlich steht die Kehrwoche auch ein wenig für die Tugenden des Pietismus. »Das Schwäbische«, schreibt Theodor Heuss in seiner Biographie über Robert Bosch, »lebt aus einer Spannung zwischen spekulativer Phantasie und einer leicht pedantischen, rechenhaften Genauigkeit.«
So gesehen ist Baden-Württemberg beinahe ein geteiltes Land, das erst noch wirklich zusammenwachsen muß. Auf der einen Seite teilen sich Pietisten, Protestanten, Katholiken und inzwischen auch Muslime die Scholle, auf der anderen Seite ist das Land sprachlich in schwäbische, südbadisch-alemannische und fränkische Segmente aufgeteilt. Die Grenze zwischen Schwäbisch und Alemannisch – eigentlich derselben Sprachfamilie entstammend – verläuft in nordsüdlicher Richtung etwa in der Mitte des Schwarzwaldkamms und biegt dann südlich der Schwäbischen Alb ab in Richtung Bodensee nach Osten, wobei Alemannisch dann im westlichen Teil, also vorwiegend in Baden, gesprochen wird. Der Grenzverlauf der verschiedenen Dialekte ist schwerer auszumachen als der zwischen den Konfessionen. Lediglich in der künstlich
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