Gebrauchsanweisung für Schwaben
an den Wert meiner Ware und an mein Wort standen mir stets höher als ein vorübergehender Gewinn.« Da ist er wieder, der feste Glaube, von den Vätern übernommen – an seinem Geburtsort Albeck auf der Schwäbischen Alb, und in Ulm, wo er aufwuchs. Nebenbei: Der Vater des kleinen Robert war Land- und Gastwirt, und kehrte seiner Ortschaft 1869 den Rücken, weil sie und damit ihre Zukunft von der neuen Bahnlinie Ulm – Crailsheim links liegengelassen wurde. Ein früher Beweis für die Mobilität der Schwaben.
Meßbar und auf einer breiteren Basis sichtbar wird der Erfindergeist in Württemberg erst im 19. Jahrhundert, als auch in die technische Ausbildung investiert wurde, als Realgymnasien und polytechnische Hochschulen gegründet wurden, zum Beispiel die Vorläuferin der Universität Stuttgart. Gefördert wurde diese Entwicklung nicht nur durch König Wilhelm I., der sich mit vielerlei Reformen mühte, sein armes, kleines Reich zu einem musterhaften Gewerbeland umzuformen. Gefördert wurde das auch durch Köpfe wie Friedrich List, dem aufmüpfigen Eisenbahn- und Freihandelspionier (1789 bis 1846), und Ferdinand Steinbeis (1807 bis 1893), dem Präsidenten der »Zentralstelle für Handel und Gewerbe« in Stuttgart. Er baute ein modernes Unterrichtssystem auf, präsentierte den Gewerbetreibenden die jeweils neuesten Maschinen, vermittelte Darlehen und Reisestipendien an bildungswillige Handwerker. Sie sollten sich im Ausland den Wind des Fortschritts um die Nase wehen lassen. Nebenbei: Steinbeis stammte aus Ölbronn, wo sein Vater evangelischer Pfarrer war.
Arbeit als großer Segen
Sein Gegenpart am anderen Ende der sozialen Leiter war der Dorfpfarrer Friedrich Wilhelm Köhler (1754 bis 1810) aus Birkach bei Stuttgart. Um zu verhindern, daß Jugendliche durch die Nähe der großen Stadt zu Untätigkeit und Bettelei verführt würden, gründete er eine Spinnanstalt – genaugenommen die erste Industrieschule in Württemberg. Sein Programm ist repräsentativ für das damalige Schwabenland: »Paragraph 1: Der Mensch ist zur Arbeit erschaffen. Paragraph 2: Arbeit ist ein großer Segen für die Menschen. Regelmäßige Arbeit stärkt unsere Gesundheit, weckt und vermehrt die Kräfte des Leibes und der Seele, ordnet unsere Gedanken und Begierden, macht heitere und frohe Menschen […]. Paragraph 3: Nur dies ist die wahre Ruhe, welche auf vollbrachte Arbeit folget […]. Paragraph 4: Dem, der die Arbeit gewohnt ist, schmeckt ein erarbeitetes Brot süßer als ein geschenktes […]. Paragraph 5: Wem Gott viele Kinder bescheret, dem bescheret er damit auch viele Hände, die zur Erwerbung der vermehrten Lebensbedürfnisse behilflich sein können […].« Und er schließt mit dem Wunsch, »daß durch frühe Bildung der Jugend zu Gottesfurcht, Fleiß, Emsigkeit und Gewerbsamkeit die Nachkommenschaft gebessert und jeder Einwohner unseres guten Vaterlandes in jedem Stande unter dem Segen Gottes seines Daseins froh werden möge.« Köhler war Sohn des Mesners von Sankt Leonhard, einer der wichtigsten Stuttgarter Kirchen.
Zum Mythos von Fleiß und Erfindungsreichtum trägt bei, daß die Wiege der großen Tüftlergeister oft im Schatten der Kirchtürme stand: im schwäbischen Pfarrhaus. Diese Institution prägte die evangelische Welt wie der Jesuitenorden die Katholiken. Prägend war das Pfarrhaus vor allem für das, was man heute Wertesystem nennt. Wer in diesem Mikrokosmos groß oder alt geworden ist, weiß für alle Ewigkeit, was richtig und falsch ist, kann demnach die »reachte Leit« von »de Lompa«, dem Lumpengesindel, unterscheiden. Dabei war der Held des Pfarrhauses nicht immer der Pfarrer, sondern oft die Pfarrfrau. Sie hatte dem Herrn Magister zwar viele Kinder zu gebären und die hungrigen Mäuler zu stopfen. Gleichwohl war sie oft die Chefin im Kirchenchor oder in der Kinderkirche, war Anlaufstelle für die Gestrauchelten und Vorbild für alle anderen Frauen. Sie mußte Küchenarbeit, Gartenarbeit und Sozialarbeit leisten und gleichzeitig auch ansprechbar sein für die gebildeteren Schichten – nicht nur in Fragen der Religionsauslegung. »Die Pfarrfrau mußte regieren, ohne zu herrschen«, beschrieb der Volksmund ihre Rolle treffend.
Weltoffene Bildung galt im Pfarrhaus etwas, weshalb auch diejenigen Pfarrsöhne, die nicht in die Fußstapfen des Vaters treten wollten, den Geist des Protestantismus als Lehrer in die Schulen und Universitäten, in die öffentliche Verwaltung und in das Staatswesen trugen. Spätestens
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