Gebrauchsanweisung für Schwaben
in der zweiten Silbe von Parfum. In einem Wort können gleich beide Nasale vorkommen – zum Beispiel in der Tram, der bereits erwähnten schwäbischen Straßabah’. Das erste a klingt nach grand, das zweite nach Parfum, oder manchmal sogar, noch heller, nach Vin oder bien. Ganz einfach, gell? Wobei, bitte, weder »Parfüm« gilt noch »Wäng«.
Ähnlich verhält es sich mit dem Vokal o. Natürlich heißt auch rund um Stuttgart die Orgel Orgel. Aber in der schwäbischen Übersetzung der Frage »Wo gehst du hin?«, also »Mo gosch na?« lernen wir, daß der Vokal in den ersten beiden Wörtern wieder wie grand gesprochen wird, das a im letzten wie Parfum oder gar wie Vin. Es kommt darauf an, wo sich der jeweilige Gaumen gebildet hat. Das gilt auch für Umlaute wie ö und ü: Sie werden zu e und i. Ein Kind ist eben manchmal bees, und das ischd vom Ibel.
Meisen, Tauben und Mäuse
Soweit war alles ganz einfach. Schwieriger wird es mit den Zwielauten, den geliebten Diphthongen, die aus zwei Vokalen bestehen. Genauer: dem au, dem eu und dem ei. Ein Beispiel: Stuttgarts früherer Oberbürgermeister Manfred Rommel hat einmal einen Vorschlag der Rathaus-Opposition als »Mäusleszeugs« bezeichnet, also als kleinkarierten Quatsch, den man neudeutsch »bullshit« nennen würde. Aber er hat das Wort natürlich nicht auf hochdeutsch wie »Moesleszoegs« ausgesprochen, sondern als »Meijsleszeijgs« mit zwei ganz hellen eijs. Für ihn ist eine Maus keine Maos, sondern eine Mauuus, und das au klingt wie das englische No oder Go. Und weil der Schwabe bei den mittelhochdeutschen Lautverschiebung genau aufgepaßt hat, erkennt er sofort, was eine »taube Taube« ist, also ein gehörloser Vogel: taub spricht sich wie Cow, der Zwielaut in Taube wieder wie No. Und der Einfachheit halber wird der Plural von Maus, also Mäuse, gleich mit dem altvertrauten hellen eij gesprochen: die Meijse. Oder lieber noch: die Meijsle.
Sollte sich jetzt jemand nördlich des Mains fragen, ob es denn dann noch einen Unterschied gebe zwischen den Meijsen, also den Mäusen, und den Meisen: oh ja. Die Meise flattert schon immer mit dem schriftdeutschen ai daher. Da sind sich Schwabe und Berliner einig: »Hast wohl ne Meise, wa?« An dem alten Zungenbrecher »S’leit a Klötzle Blei glei bei Blaubäura« aber scheitert der Normalpreuße. Das schaffen höchstens Ostpreußen, und die sterben gerade auch aus.
Man sieht, der Schwabe braucht empfindsame Gehörknöchelchen. Kommt jemand daher und sagt: »Laidr misset manche Leijd beim Leijda leidja«, dann meint er, Schriftdeutsch ausgedrückt: »Leider müssen manche Leute beim Läuten (der Kirchenglocken zum Beispiel) leiden.« Oder »An dr Waide stoht a Weijde.« Alles klar? Aber ja: An der (Kuh)-Weide steht eine (Baum)-Weide. Oder: »Oi Oi isch z’wenig fir zwoi«. Auflösung: »Ein Ei ist zuwenig für zwei.« Jetzt wird vielleicht verständlich, weshalb die Poesie schwäbischer Dichter dem Norddeutschen manchmal fremd klingt. Zum Beispiel bei Friedrich Schiller, bei dem sich in der Braut von Messina »befehden« auf »töten« reimt und »Ende« auf »Hände«. Auf Schwäbisch liest sich das ebenso logisch wie sein Jugendgedicht »Leichenphantasie«, wo es heißt: »Mutig sprang er im Gewühle der Menschen, / Wie auf Gebirgen ein jugendlich Reh; / Himmel umflog er in schweifenden Wünschen / hoch, wie ein Adler in wolkiger Höh …« Da konnte sich der Sprachexperte August Wilhelm Schlegel aus Hannover den Spott nicht verkneifen: »Wenn jemand Schooße reimt auf Rose, / auf Menschen wünschen, und in Prose / und Versen schillert: Freunde wißt, / daß seine Heimat Schwaben ist.«
Die geschriebene Sprache reicht bei weitem nicht aus, um den Nuancenreichtum des Schwäbischen zu erfassen. Im Südwesten bräuchte man mindestens 35 Buchstaben und einen Sack voller Zwielaute, um die Vielfalt ordentlich abzubilden. Und im Südbadischen noch mehr. Denn dort sind sogar die Auugen blauu – alemannisch à gogo.
Sparsam auch mit Buchstaben
Den Mehrverbrauch an Vokalen wird bei den Konsonanten kaum eingespart. Ob st oder sp, es wird zu schtimmlosen sch: Schduegerter Schbäzzla. Viele Pees wie bei Polizei und Pappa werden einfach zu Bees, also zu Bolezei oder Babba – oder gleich Babbe mit dem kurzen, nasalen Parfum-Schlußvokal. Der Buchstabe t wird häufig, aber längst nicht immer, zum d wie bei Diebenga, dem schwäbischen Namen für Tübingen, oder beim Deijflszeijgs, dem Zeug mit diabolischer Qualität. Aber
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