Gebrauchsanweisung für Schwaben
Rastatt und Karlsruhe sprang nicht über nach Stuttgart, von wo sich König Wilhelm I. vorsorglich ins sichere Schloß Ludwigsburg zurückgezogen hatte. Durch eine Reihe von Kompromissen, durch eine kluge Personalpolitik und die Aufstellung von Bürgerwehren verdarb er den Bürgern und manchen Soldaten die Lust an den Raufhändeln. Als das Rumpfparlament der Frankfurter Nationalversammlung in Stuttgart tagte, ließ er es vom Militär auseinandertreiben. Damit herrschte wieder Ruhe im Land. Und in Baden bald auch, weil württembergische Truppen dem Bundescorps gegen die Aufständischen Waffenhilfe leisteten. Das hat die Schwaben jenseits des Schwarzwaldes nicht beliebter gemacht. Es war sowieso eher der Ärger über Willkür und Selbstherrlichkeit gewesen, der manche Bürger aufgebracht hatte, als der Wunsch nach Volksbewaffnung, gesellschaftlicher Änderung und einer Republik. Auch hier zeigte sich das Phänomen, daß im Schwabenländle nichts so heiß gegessen wird, wie es von der Herdplatte kommt.
Klar, die Intellektuellen träumten vom Ende des Gottesgnadentums. In den Landtagen von Württemberg und Baden stritten Ludwig Uhland und Karl von Rotteck für Freiheitsrechte. Und der Herzog-Kritiker Christian Friedrich Daniel Schubart darbte Jahrzehnte vorher wegen praktizierter, aber unerlaubter »Pressfreiheit« von 1777 an zehn Jahre im Staatskerker Hohenasperg. Der Knast ist bis heute noch in Betrieb; hier mußte vor einigen Jahren Peter Graf, der Vater der Tennislegende Steffi Graf, einsitzen. Und vor ihm viele Politiker, besonders Liberale, auch Sozialisten.
In Stuttgart »besser dran«
Apropos Sozialdemokraten. Sie hatten es unter den schwäbischen Grundeignern und Stücklesbesitzern nie leicht. 1876 stellten sich ihre Kandidaten erstmals bei Wahlen, 1891 zogen sie in den Landtag ein. Womit sie die Bürger und Bauern verschreckten, war unter anderem das Ziel, »die auf der kapitalistischen Produktionsweise beruhenden Gesellschaftseinrichtungen zu beseitigen.« Was war damit wohl gemeint: die Fabriken? Die Sparkassen? Die Genossenschaften? Der Besitz an Grund und Boden? Das Häusle? Noch im Jahr 1901 blieben SPD-Abgeordnete der Landtagseröffnung fern, weil sie ihren Eid nicht vor dem König leisten wollten. Doch schon acht Jahre später ließen sie, bei einem Festessen, den liberalen Wilhelm II. hochleben. Und zwar, weil er nicht nur ihre Zeitung, die »Schwäbische Tagwacht«, abonniert hatte, sondern weil er auch die II. Sozialistische Internationale in Stuttgart hatte tagen lassen – mit Teilnehmern wie Lenin, Trotzki, Bebel und Rosa Luxemburg. August Bebel hatte diese Liberalität vor 3000 Gesinnungsfreunden auf dem Cannstatter Wasen so gelobt: »Ihr in Stuttgart seid besser dran!«
Im Südwesten opferten die Sozialdemokraten früher als in anderen deutschen Ländern ihre revolutionäre Verbaltheatralik der praktischen Vernunft. Dafür mußten sie sich von Scharfmachern als »königlich-württembergische Sozialdemokratie« beschimpfen lassen. Von ihrer damaligen pragmatischen Haltung bis zum »Godesberger Programm« führt ein direkter Weg.
So richtig belohnt wurden die Sozialdemokraten im Ländle dafür bis heute nicht. Sie blieben, von den industriellen Ballungszentren einmal abgesehen, ein Fremdkörper, wenngleich sie ihrer Partei bundesweit anerkannte Köpfe beschert haben. Ob Wilhelm Keil, der schon im Jahr 1900 als Dreißigjähriger in den Landtag einzog, ob Carlo Schmid oder Fritz Erler, Alex Möller oder Erhard Eppler, jeder von ihnen hatte einen unverwechselbaren Charakter, ein eigenes Weltbild, eigene Ideen – aber selten eine abstrakte Ideologie. Das Grundgesetz wäre in seiner genialen, vorbildlichen Fassung ohne Carlo Schmid nicht denkbar. Alex Möller war Vorstandschef eines Versicherungskonzerns und später Bundesfinanzminister. Dazu hat es sein Parteifreund Edzard Reuter nicht gebracht, der Sohn des früheren Berliner Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter. Doch mit Hilfe der Deutschen Bank stieg der Junior zum ersten Mann von Deutschlands kapitalistischem Aushängeschild, der Daimler-Benz AG, auf und verwandelte sie zum Global Player.
Ja, und dann Erhard Eppler, der frühere Landesvorsitzende, Oppositionsführer im Landtag und Entwicklungshilfeminister unter den Kanzlern Kurt Georg Kiesinger und Willy Brandt. Sein Rat in allen Werte- und Moralfragen ist heute noch gesucht, doch er wirkte oft so verdrossen, daß Spötter wähnten, er gehe »zum Lachen in den Keller«. Er wollte im
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