Gebrochen
ballte ich die Hände zu Fäusten, um mich selbst im Zaum zu halten.
„Du hast doch gesagt, ich soll zu Hause diesen Lehrgang machen“, erklärte er, kaum verständlich, weil er scheinbar mit den Tränen kämpfte.
„Aber du bist doch zu Hause, warum packst du dann?“, fragte ich noch immer verständnislos. Doch dann dämmerte es mir und ich schalt mich einen Idioten. Nur weil es für mich selbstverständlich war, durfte ich nicht vergessen, dass es das für ihn nicht war. Er hatte mitten in der Bewegung innegehalten, seine Hand zitterte.
„Wenn ich von zu Hause spreche, dann meine ich hier“, erklärte ich noch einmal. Leon nickte kaum merklich, rührte sich aber sonst nicht.
„Komm essen, bevor es kalt wird“, forderte ich ihn sanft auf. Er rührte sich wieder nicht, daher ließ ich ihn alleine. Ich setzte mich in die Küche und aß weiter. Es dauerte eine Weile, bis er wieder kam. Schweigend setzte er sich und aß ebenfalls. Ich sagte lieber gar nichts mehr. Ich stellte auch nicht klar, dass er diesen Lehrgang nicht machen musste. Ich hatte nicht vergessen, dass er der Meinung war, ich hätte gesagt, er sollte es machen.
Nach dem Essen setzte sich Leon wieder an den Computer. Auch jetzt sprach ich ihn nicht darauf an, wie ich meine Aussage gemeint hatte. Ein Missverständnis am Tag reichte vollkommen.
Ich las in meinem Buch weiter, doch schon bald riss er mich aus meiner Konzentration, als er sich in den Fernsehsessel hockte. Wie immer hatte er die Beine dabei angezogen und ich fragte mich, ob er jemals wirklich entspannt sein würde. Allerdings beruhigte es mich, dass er nur nachdenklich drein sah. Ich las weiter, doch die Neugier veranlasste mich, immer wieder zu ihm zu sehen. Der Verdacht drängte sich einfach auf, dass er über diesen Lehrgang nachdachte und nicht über etwas anderes. Ich warf einen kurzen Blick zum Computer und erkannte tatsächlich das Logo eines dieser Anbieter.
Ich sollte ihn nicht drängen, daher fragte ich nicht. Ich wollte wirklich nicht, doch die Neugier war einfach größer. Mich interessierte wirklich brennend, was in seinem Kopf vorging. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und fragte: „Was grübelst du?“
Er fuhr zusammen, was ich nicht weiter beachtete. Zweifellos hatte ich ihn nur aus seinen Gedanken gerissen – hoffte ich.
„Dauern zwölf Monate, die Lehrgänge“, sagte er nur. Ich wartete einen Moment, doch er fuhr nicht fort.
„Und?“, bohrte ich weiter.
„Ich brauch sie nicht. Nur die Prüfung“, meinte er.
Oder eine Empfehlung, schoss es mir durch den Kopf. Vielleicht sollte ich doch mit dem Programmierer reden?
„Wenn du willst, kann ich mal mit dem reden, der unser Programm geschrieben hat. Vielleicht weiß der, ob man nur die Prüfung machen kann. Oder vielleicht reicht ja auch ein Empfehlungsschreiben oder so?“, meinte ich vorsichtig. Leon reagierte minutenlang gar nicht. Dann nickte er zaghaft. Zufrieden mit mir und auch mit ihm, widmete ich mich wieder meinem Buch.
***
Am nächsten Morgen beobachtete ich träge aus halbgeschlossenen Augen, wie Leon seine Jeans hochzog. Er musste trainiert haben, so wie sein Körper aussah. Oder es lag an der ständigen Anspannung? So wie er sich angespannt hatte, als ich ihm tröstend die Hand auf die Schulter gelegt hatte? Egal, ich würde ihn bestimmt nie so anfassen dürfen, wie ich gerne wollte. Davon hatte er bestimmt für sein ganzes Leben genug.
Leon wandte sich um und warf mir einen Blick zu. Schnell drehte ich mich um und stand auf. In dem Moment fiel mir ein, dass er zu einem Arzt gehen sollte. Ich hatte es mir vor zwei Tagen schon gedacht. Allerdings hatte ich ein wenig Angst, wie er reagieren würde, wenn ich ihm vorschlug, sich gründlich durchchecken zu lassen.
Als ich in die Küche kam, saß er schon bei seinem Kaffee. Ich setzte mich und grübelte noch immer, doch dann platzte ich einfach heraus: „Du solltest zu einem Arzt, dich durchchecken lassen.“
Er spannte sich komplett an, war ja klar gewesen. Aber es war mir wichtig. Wenn er sich wirklich etwas eingefangen haben sollte, war es besser, es so früh wie möglich heraus zu finden.
Mit einem Blick auf die Uhr stellte ich fest, dass ich nicht mehr viel Zeit hatte. Ich verfluchte mich selbst, das angesprochen zu haben, wenn ich bald in die Arbeit musste.
„Leon?“, lockte ich ihn sanft. Tatsächlich löste sich seine Anspannung ein wenig und er nickte.
„Hast du deine e-card?“, wollt ich als nächstes wissen. Er
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