Gefaehrlich begabt
Pingelige Handarbeit. Das Tollkirschpulver besaß die Eigenschaft, einen Gegner binnen Sekunden in tiefen Schlaf zu befördern. Vorausgesetzt, eine Hexe blies es ihm aus der linken Hand ins Gesicht. Marla hielt die Luft an und beobachtete, was geschah. Konnte sie einem Engelsgleichen trotzen? Perplex blickte Robert sie an. Wieso glückte es nicht? Doch plötzlich erstarrte er in der Bewegung und sackte ohnmächtig auf dem Boden zusammen. Gott sei Dank! Diese Engelsmänner waren zäh.
»Jenny, hilf mir!«
Mit einem Satz sprang Jenny zu ihr.
»Es wird vielleicht nur Minuten dauern, bis er wieder zu sich kommt. Die Engel sind verdammt stark«, brachte Marla zähneknirschend hervor, während sie den schweren Körper anhob. Jenny schnappte sich die Beine.
»Was machen wir mit ihm?«
»Wir schaffen ihn in mein Schlafzimmer. Wir drehen den Spieß um. Haben sie ein paar Geiseln, besorgen wir uns auch eine.«
»Mom!«
»Nichts Mom! Wir müssen Anna Zeit verschaffen.«
»So meinte ich das nicht. Ich meinte, Mom? Wann bist du so cool geworden?«
»Ich bin froh, dass ich meine Hirnzellen wieder nutzen kann«, antwortete Marla und Jenny verzog ihr Gesicht zu einem typischen Grinsen.
Sie schleppten ihn die Treppe hinauf und verloren kein weiteres Wort. Sie benötigten ihre Luft, um den schweren Körper zu tragen. Robert Pearson hatte ein beachtliches Gewicht.
*
Die bewaffneten Menschen, vermutlich allesamt Talentierte, erschraken, als sie Sebastian erblickten. Sie rechneten mit einer Flucht, aber sicherlich mit keiner, die von einem Magier angeführt wurde. Unschlüssig hielten sie die Waffen weiter auf sie gerichtet, aber die Entschlossenheit in ihren Gesichtern schwand.
»Ich habe nicht vor, irgendeinem von Ihnen wehzutun. Aber ich werde auch nicht zögern, wenn es sein muss.« Sebastian klang ruhig und beherrscht.
»Verdammt, das hier sind Menschen. Menschen aus Fleisch und Blut wie ihr auch! Wie könnt ihr nur im Auftrag des Beirats handeln?«, versuchte Anna, an die Gegner zu appellieren. Bis vor wenigen Sekunden hatte sie geglaubt, überhaupt kein Wort rauszukriegen. Der erste Schreck wich aus den Gliedern.
»Ich sehe vor allen Dingen einen Magier«, gab einer der Männer zurück.
»Einen Magier, der bereit ist, dir dein verdammtes Herz herauszureißen. Du weißt, Waffen halten mich nicht auf«, antwortete Sebastian unbeeindruckt.
Eine Gänsehaut breitete sich auf Annas Körper aus. Die Berechnung in seiner Stimme beschleunigte ihren Puls.
»Wir sind notfalls bereit zu sterben.« Der offensichtliche Anführer der Gruppe hielt seinem Blick stand. Seine Augen blickten dunkel und leer.
»Sie stehen unter einem Bann«, flüsterte Sebastian so leise, dass Anna ihn kaum verstand.
»Tu ihnen nichts, es sind Menschen«, piepste sie.
»Soll ich uns lieber draufgehen lassen?«
Shit, er hatte recht. Irgendetwas mussten sie unternehmen und möglichst, bevor sich noch mehr bewaffnete Talente und Halbengel versammelten.
»Dann töte sie wenigstens nicht«, flehte sie ihn an.
Sebastian murmelte den Fluch so leise, dass sie es fast nicht bemerkt hätte.
Ihr Herz trommelte unruhig. Was würde er tun?
Die Männer schienen lediglich mit der Aufgabe beauftragt zu sein, sie an der Flucht zu hindern. Niemand kam in Versuchung, anzugreifen. Bestimmt begaben sich schon ein paar Beiratsmitglieder ins Kellergewölbe. Mittlerweile besaß sie genug Übung, zu sehen, wann ein Magierfluch Wirkung zeigte. Der fast unsichtbare Schleier glitt über die bewaffneten Männer hinweg. Sie packten sich ins Gesicht, rissen die Augen auf, fuhren mit den Händen darüber, als sie die Nebelschwade einholte.
»Was soll das?«, rief einer von ihnen ängstlich, die restlichen Worte gingen in der Panik unter, die unter den Wachen aufkeimte.
»Lauft«, brüllte Sebastian.
Er war die geborene Führungspersönlichkeit, denn niemand kam auf die Idee, erstarrt stehen zu bleiben. Sebastian stürzte die Treppe hinauf, die anderen folgten schnell. Hinter ihnen löste sich ein Schuss. Anna spähte über die Schulter zurück. Einer der Männer richtete die Waffe orientierungslos gegen die Wand. Wenn er jetzt abzog, würde die Kugel zurückprallen und ihn erledigen. Sie eilte Sebastian nach und hörte den zweiten Schuss.
»Was hast du getan?«, rief sie.
»Ich fürchte, die Welt hat jetzt ein paar Blinde mehr«, antwortete er, ohne das Tempo zu drosseln.
Sie erreichten die Treppe, die hoch ins Erdgeschoss führte. Sallys Mutter geriet ein paar Mal
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