Gefaehrlich begabt
Stufe der Treppe, da barst die Tür entzwei. Dicke Holzsplitter segelten ihm entgegen. Schützend hob er die Hand vor sein Gesicht. Ein Luftzug streifte ihn und ihm schwante Böses.
Kira flog an ihm vorbei und stieß ihn grob zur Seite. Er verlor das Gleichgewicht und schaffte es nicht, sie festzuhalten. Seine Hände griffen ins Leere.
Kiras blutender Finger landete auf dem Pergament und noch in der Drehung brach sie dem fassungslosen Kapitän das Genick.
Sebastian hörte den Knochen brechen. Der Alte blickte sie vorwurfsvoll und erschrocken an, bevor sein schwerer Körper leblos zu Boden fiel.
Kira warf ihm einen feindseligen Blick zu. »Du bist so ein Schwächling, Sebastian.«
Sebastian versuchte, die Tränen hinunterzuschlucken. Er wollte nicht vor ihr weinen. Aber die Traurigkeit übermannte ihn, als er den ermordeten Körper seines Freundes betrachtete. Er schien wie gelähmt, er schaffte es nicht, sich aufzurappeln. Kira griff das Messer vom Tisch und zog es blitzschnell über die Kehle des Toten. Gekonnt trennte sie ihm den Finger ab.
»Die Handschrift darf nicht vergessen werden«, sagte sie mit einem kalten Lächeln auf den Lippen.
Sebastian versuchte, seine Gedanken zu sortieren, das Gesehene zu verarbeiten, aber in seinem Kopf ergab es keinen Sinn. Während er sich bemühte, die Tränen wegzublinzeln, verwandelte sich die Schönheit in eine rabenschwarze Katze. Sie besaß jetzt das begehrte Talent. Mit einem Satz sprang sie die Treppe hinauf. Sebastian blieb allein an dem inzwischen blutgetränkten Tatort zurück.
18. Kapitel
Hoch hinaus
M arla krabbelte die wacklige Holzleiter zum Dachboden hinauf. Ihre Beine gehorchten ihr nur schwer. Wenn sich ihr Verdacht bestätigte …
Anna und Jenny hatte sie in Sicherheit gebracht, allerdings schien es unter diesen Umständen nicht zu genügen. Wenn sie hier das fand, wovor sie sich am meisten fürchtete, dann konnte jeglicher Schutz ihn nicht aufhalten. Möglicherweise war Sebastian ein eiskalter Mörder.
Woher sonst besaß er die Kraft, einen Dämon zu töten? Die Tatsache, dass er als Retter aufgetaucht war, verwirrte sie allerdings. Wollte er sie ohne Testament nicht sterben lassen? Marla schaltete das Licht ein. Sie sah dem Speicher noch an, dass er einmal ein Heuschober gewesen war. Eine dicke Staubschicht bedeckte alles und Spinnweben hingen von den alten Balken. Der Boden ächzte unter ihren Schritten. Sie steuerte auf die große Holztruhe zu. Marla zitterte am ganzen Körper, deshalb fiel es ihr schwer, das Schloss zu öffnen. Aber der Schlüssel fand schließlich seinen Weg in das Loch.
Eva und das Ouija-Brett hatten es ganz deutlich gesagt. Die Fingerless trieben ihr Unwesen. Marla schimpfte sich eine Närrin. Nach den ganzen Morden hätte sie allein darauf kommen müssen.
Lieber Gott, mach, dass Sebastian keiner von ihnen ist. Lass es eine andere Erklärung für seinen Sieg geben.
Rasch durchforschte sie die alten Zeitungen. Der gesuchte Artikel versteckte sich zwischen anderen Papieren ganz unten am Boden der Truhe. Ihre Vorfahren hatten ihr die Kiste vermacht, sie enthielt wichtige Dinge. Sie faltete das Blatt auseinander und starrte in ein Gesicht, das sie liebte wie einen Sohn.
Der Zeitungsartikel war über die Jahre verblasst und die humane Presse berichtete damals auch nicht sonderlich darüber. Unter den Menschen galten die Fingerless bloß als Betrügerpack.
Sie konnte die Beweise nicht leugnen. Sie erkannte die Leute auf dem Bild trotz der geringen Größe.
Neben Jonathan, Thea und Josh stand er, die Hände mit der Magierin Kira Del Rossi gekreuzt. Sebastian Fingerless.
Weshalb hatte sie ihn nicht erkannt? Der Jüngste der Fingerless war ihr nicht im Gedächtnis geblieben, anders als Jonathan oder Thea. Er hatte sich kaum verändert. Seine Frisur besaß einen moderneren Schnitt und sein Körper wirkte muskulöser. Sebastian Fingerless glich ihrem Ziehsohn wie ein Ei dem anderen.
Eine tiefe Traurigkeit ummantelte Marlas Herz. Es kostete Kraft, zu atmen. Er betrog sie nach Strich und Faden. Nichts von dem, was er zu ihr gesagt hatte, meinte er ansatzweise ehrlich. Er hatte sich ihr Vertrauen erschlichen und ihren Mann getötet. Frank, ihr sanfter Frank …
Die Erinnerungen fütterten die Wut im Bauch. Sie sah sonnenklar, was sie zu tun hatte. Ein Weinkrampf schüttelte sie, während sie die Londoner Nummer in ihr Handydisplay tippte.
Sie hoffte, mitten in der Nacht jemanden zu erreichen, aber in der Regel ging der Beirat
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