Gefaehrlich begabt
Ohne dich sind wir alle verloren. Verhalte dich unauffällig, und wenn das Wochenende vorüber ist, werde ich dich begleiten.«
»Du?« Sie unterdrückte ein Auflachen.
»Ich«, antwortete Sally. »Zurzeit kannst du nicht wählerisch sein, und ich glaube, du kannst mich mehr als gebrauchen.«
Anna schnaubte und wünschte, die blonde Puppe hätte weniger recht.
*
Marla packte die restlichen Sachen in die Tasche. In ein paar Stunden ging der Flieger. Sie hatte den letzten freien Platz in den Morgenstunden ergattert. Immer noch erfüllte Traurigkeit ihr Herz und Wut vergiftete ihren Verstand. Wie hatte Sebastian ihr das antun können? Aber ein Magier besaß kein Herz, er empfand keine Schuld oder Reue.
Sie seufzte, nahm das Gepäck und ging zur Tür. Plötzlich vernahm sie hinter sich ein Geräusch. Erschrocken fuhr sie zusammen. Die Hexenkräuter schlummerten tief in der Tasche. Ohne gelang kein Zauber. Sie kam nicht heran.
Marla erstarrte in der Bewegung, als der Fluch sie ohne Chance auf Gegenwehr traf.
Sebastian betrat die Treppe, er musste oben gewartet haben.
Ihr Herz raste. Stufe für Stufe kam er näher. Seine Augen blickten verquollen, mit zittrigen Fingern fuhr er sich über das Haar. Wieso wirkte er so zerbrechlich, so menschlich? Marla las Entsetzen in seinem Blick. Aber sie ließ sich nicht länger beirren. Er war ein Magier!
Sebastian kam unmittelbar vor ihr zum Stehen, sein kalter Atem blies ihr ins Gesicht. »Marla, ich …«, stammelte er.
Sie schloss die Augen, wollte ihn nicht ansehen. Es tat so weh. Er würde sie töten, wie Hunderte andere. Das stand fest. »Ich weiß nicht, was mit mir los ist.« Er klang kindlich, unsicher. Marla riss sich zusammen, sie lief Gefahr, zu vergessen, wer und was da vor ihr stand.
»Bitte, sag etwas.«
Eine Welle aus Wut pulsierte durch ihre Adern. »Du verlangst, dass ich mit dir spreche? Ich habe keine Worte für einen Mörder!« Ihre Stimme bebte, aber zumindest lähmte der Fluch ihre Zunge nicht. Der Rest ihres Körpers blieb steif unter dem Zauber.
»Ich habe Frank nicht getötet«, sagte er leise. »Ich konnte es nicht, schon damals nicht.«
»Und das soll ich dir glauben? Du bist ein Magier, eine Abscheulichkeit der Natur! Du kannst richtig nicht von falsch unterscheiden.«
»Ihr seid meine Familie.«
»Nein, gewiss sind wir das nicht. Jonathan, Thea und Josh. Das ist deine Familie. Vergleich mich nicht mit diesem Dreckspack!«
»Ich will töten, aber ich kann es nicht. Ich will lügen, aber bringe kein Wort über die Lippen. Ich habe Gewissensbisse, und immer, wenn ich Anna ansehe, will ich nur eins: Sie beschützen. Ich will euch beschützen. Marla, was ist los mit mir?« Er klang so verzweifelt.
Marla spuckte auf den Boden. Die einzige Geste, mit der sie ihm zeigen konnte, was sie von ihm hielt. »Du besitzt die Frechheit, mich nach der Gabe meines Mannes zu fragen? Töte mich lieber gleich, von mir wirst du nichts erfahren.«
»Du denkst, ich will dich töten?« Seine Augen funkelten, die Angst spiegelte sich in seinem Satz wider.
Marla musterte ihn.
»Ich bin hier, um dich zu bitten, dass wir eine andere Lösung finden. Du darfst nicht nach London fliegen und es dem Beirat erzählen. Mein Vater wird euch alle töten«, bat er flehend.
»Du verlangst, dass ich tatenlos weiter zusehe, wie ihr durchs Land zieht und mordet?« Ihre Stimme überschlug sich. Mit der Schuld konnte sie nicht leben.
»Du musst.« Sebastians Augen füllten sich mit Tränen.
»Alles, was ich muss, ist die Unseren beschützen. Entweder, du befreist mich jetzt und hier von deinem Fluch und beweist, dass du ein Herz besitzt, oder du schneidest mir die Kehle durch. Wenn du mich leben lässt, werde ich nach London fliegen.«
Seine kalten Finger umfassten ihr Gesicht. Er würde sie töten, aber das machte ihr nichts aus. Ihre einzige Sorge galt Jenny, sie hatte doch schon ihren Vater verloren.
»Es tut mir so leid«, flüsterte Sebastian. »Es tut mir unglaublich leid, Marla.« Seine eisblauen Augen fingen ihren Blick auf und ein Magiestrom rauschte plötzlich durch ihren Körper. Wie hypnotisiert schaffte sie es nicht, sich abzuwenden und starrte in sein makelloses Gesicht.
So also war es, wenn man starb. Marla hatte es sich schlimmer vorgestellt. Die Umgebung begann, sich zu drehen, Bilder wurden unscharf.
»Du wirst vergessen«, hörte sie Sebastian hauchen, aber er klang meilenweit entfernt. Ihre Welt tauchte in weißes Licht.
20. Kapitel
Hochzeitslaune
D
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