Gefaehrliche Begegnungen
suchte sich schnell etwas zum Frühstücken und ging dann in die Bibliothek, da sie hoffte, sich dort besser konzentrieren zu können.
Es war ein wunderschöner sonniger Tag – der perfekte Kontrast zu ihrer düsteren Stimmung. Unter normalen Umständen hätte Mia einen schönen langen Spaziergang zur Bibliothek gemacht, aber da die Zeit knapp war, nahm sie sich ein Taxi. Seit sie bei Korum lebte und fast alle ihre Mahlzeiten mit ihm einnahm, hatte Mia zum ersten Mal in ihrer Studentenzeit Geld übrig. Die finanziellen Unterstützungen für Studenten, die halfen, die Studiengebühren und die Bücher zu bezahlen, reichten zudem auch aus, um sich das Nötigste zum Leben zu kaufen. In Restaurants zu essen oder sich ein Taxi zu nehme waren ein Luxus, den sich Mia normalerweise nicht erlauben konnte und sie fand es schön, nicht mehr auf jeden Cent achten zu müssen, seit ihre Ausgaben für Lebensmittel weggefallen waren.
In der Bücherei ging es zu wie im Taubenschlag. So ziemlich jeder Student der NYU befand sich gerade dort um wie wahnsinnig zu lernen oder Hausarbeiten zu schreiben. Na klar, fiel Mia ein, es war ja auch Abschlusswoche. Sie hätte einfach in ihrem komfortablen Arbeitszimmer, das Korum ihr eingerichtet hatte, bleiben sollen, aber sie wollte an einem Ort sein, der sie nicht daran erinnerte, was für ein Chaos ihr Leben geworden war.
Nachdem sie eine gute viertel Stunde umher gewandert war, erspähte sie endlich einen Stuhl, von dem gerade ein pickliger rothaariger Junge aufstand, der so aussah als sei er gerade mal zwölf Jahre alt. Mia lächelte und setzte sich schnell auf den freien Platz, bevor jemand anderes diesen Hauptgewinn sah. Auch wenn sie eigentlich gar nicht so alt war, fand sie, dass in der letzten Zeit einige der Studienanfänger unglaublich jung aussahen.
Fünf Stunden später beendete Mia triumphierend ihren letzten Satz und speicherte den ganzen Text. Sie musste das verdammte Ding zwar noch Korrektur lesen, aber der Großteil der Arbeit war fertig. Sie sammelte ihre Sachen ein, verließ die Bibliothek und ging zu ihrem Appartement, in der Hoffnung, dort vielleicht Jessie zu sehen und mit ihren Eltern sprechen zu können.
Jessie war nicht zu Hause als sie dort ankam, weshalb Mia beschloss, gleich mit ihren Eltern zu reden.. Sie atmete tief durch, fuhr ihren Rechner hoch und bereitete sich mental darauf vor, genauso fröhlich und übersprudelnd wie jeder andere Student zu sein, der seine Abschlusswoche fast hinter sich hat.
»Mia! Süße, wie geht es dir?« Ihre Mutter war heute bester Laune, ihre blauen Augen funkelten vor Aufregung und sie hatte ein breites Lächeln im Gesicht.
Mia grinste zurück. »Ich bin fast fertig! Ich muss nur noch die letzte Hausarbeit Korrektur lesen und danach ist dieses Schuljahr für mich offiziell vorbei«, sagte Mia und behielt dabei extra einen euphorischen Ton bei.
»Das ist ja großartig!« rief ihre Mutter aus. »Wir können es gar nicht erwarten, dich dieses Wochenende zu sehen! Marisa und Connor kommen am Sonntag vorbei und dann machen wir ein großes Essen. Ich werde dir alle deine Lieblingsspeisen kochen. Ich habe auch schon ein paar Eier gekauft und sogar ein Stückchen Ziegenkäse–«
»Mama«, unterbrach Mia und fühlte sich, als würde sie gleich sterben, »ich muss dir was erzählen...«
Ihre Mama war einen Moment lang ruhig und fragte dann verwundert. »Was ist denn, Liebling?«
Mia holte tief Luft. Das würde nicht einfach sein. »Einer meiner Professoren hat mich diese Woche um einen dicken Gefallen gebeten«, begann sie langsam ihre halbwegs glaubhafte Geschichte, die sie sich in den letzten paar Minuten ausgedacht hatte. »Es gibt hier an der NYU ein Programm, in dem Psychologiestudenten eine bestimmte Zeit mit benachteiligten High-School Schülern aus den schlimmsten benachbarten Vierteln verbringen...«
»Aha«, sagte ihre Mutter und ihre Stirn runzelte sich leicht.
»Das ist ein tolles Programm«, log Mia. »Diese Schüler haben wirklich niemanden, der ihnen dabei hilft, ihre nächsten Schritte mit ihnen zu planen, ob sie studieren sollten oder nicht, wie sie sich bewerben müssten, falls sie sich dazu entscheiden... Und du weißt ja, dass das genau das ist, was ich machen möchte – solche Beratungen durchzuführen...«
Das Stirnrunzeln ihrer Mutter verstärkte sich.
Mia beeilte sich mit ihrer Erklärung. »Also ich wusste gar nichts von diesem Programm, habe mich aber diese Woche mit meinem Professor
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