Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Titel: Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Dietz
Vom Netzwerk:
sagen, was diese Zeichnung deiner Meinung nach darstellen soll?« Ich gab ihr das Bild von Lauras Tätowierung. Solveig beugte sich darüber und sagte: »Sieht auf den ersten Blick wie ein chinesisches Schriftzeichen aus.«
    »Tja, das habe ich auch gedacht. Ist es aber nicht.«
    Solveig fuhr nachdenklich mit dem Finger über die Linien. Oberzicke Beate Friedrichs kam herein. Sie trug einen eng anliegenden schwarzen Overall mit spitzem Kragen und goldenem Reißverschluss. Das Verhältnis von Körper zu Stoff war absolut nicht ausgewogen. Viel zu viel Körper für viel zu wenig Stoff. Es sah aus wie der Naturdarm um eine grobe Leberwurst. Aber offensichtlich hatte Beate Friedrichs keinen Spiegel zu Hause, denn so gut gelaunt, wie sie war, konnte ihr gar nicht klar sein, wie scheußlich ihr Outfit war. »Hi Mädels«, flötete sie und legte ihre wie immer prall gefüllte Ledertasche auf das Pult. »Was läuft denn so?«
    »Lass das Bild mal hier liegen«, sagte Solveig zu mir. »Ich schaue es mir gleich mal genauer an.« Ich ging zu meinem Platz. Beate Friedrichs verfolgte mich mit stechendem Blick. So weit reichte ihre gute Laune offensichtlich nicht, als dass sie ihre Abscheu mir gegenüber hätte verbergen können. Aber das tangierte mich gar nicht. Vielmehr störte mich, dass sie von uns schon wieder einen Anfall von Kreativität erwartete und uns mit einer Darstellung des selten doofen Themas Zeit nötigte. Sie zeigte uns Bilder von Dalí und Escher, als ob einen von uns das inspirieren würde. Na ja. Wohl eher nur mich nicht. Die anderen fingen schon wieder an, auf ihre Blätter zu kritzeln, als ich die Hand hob und fragte: »Wann kommen wir eigentlich mal zum theoretischen Teil von Kunst? Kunstgeschichte zum Beispiel. Wir können doch hier nicht immer nur malen, als wären wir im Kindergarten.«
    Beate Friedrichs’ Blick wurde hart wie die Deckweißtube, die ich im achten Schuljahr offen gelassen hatte und die immer noch in meinem Malkasten lag.
    »Ihr könnt die Zeit auf jede Art und Weise darstellen«, sagte Beate Friedrichs, mich demonstrativ ignorierend. »Ihr könnt sie auch im metaphorischen Sinn darstellen und ein Vergänglichkeitsthema wählen.«
    Ich schielte auf das Blatt von Heidrun Zumke, die mit ihren verknoteten Flechtzöpfen vor mir saß. Sie malte tatsächlich eine Sonne. Und auf die andere Seite des Blattes einen Mond und Sterne. »Super Idee«, flüsterte ich. Sie bemerkte, dass ich sie beobachtete, warf mir einen giftigen Blick zu und legte schnell den Arm vor ihr Blatt. Tsess! Als ob ich bei ihr abgemalt hätte. Ich ließ meinen Blick schweifen und blieb an der offenen Tasche von Diana hängen. Neben einer Vorratspackung Prinzenrolle hatte sie einen Apfel dabei, den sie vermutlich schon einige Tage mit sich herumschleppte, so verschrumpelt, wie er war. Na also, dachte ich zufrieden. Geht doch. Ich malte einen Kreis mit Stiel und Blatt dran. Und einen Kreis mit gestrichelter Innenfläche und einem danebenliegenden Blatt. Fertig. Einfach, aber genial. »Was soll das sein?«, fragte Beate Friedrichs, die neben mir aufgetaucht war und ihre orange geschminkten Lippen zusammenkniff.
    »Das sind Äpfel. Frischer Apfel. Alter Apfel. Die Zeit dazwischen ist ihm nicht bekommen«, erklärte ich.
    »Sie geben sich keine Mühe, Natascha. So kann ich die Arbeit nur mit ›mangelhaft‹ bewerten.«
    »Oh. Schade«, sagte ich ungerührt.
    »Das grenzt an Arbeitsverweigerung, was Sie da machen. So kann ich eigentlich gar keine Punkte vergeben. Punkte, die Sie für das Abitur brauchen.«
    »Ja«, sagte ich langsam. »Da ist was dran.«
    »Machen Sie es noch mal. Aber diesmal richtig.« Sie stolzierte von dannen wie ein Napoleon und ich ließ sie, denn ich hatte heute keine Energie für Scharmützel mit einer machtbesessenen Zicke. Ich musste meine Energie für was anderes aufwenden und Rick Smith als Liebhaber überführen. Wie könnte ich das wohl anstellen? Ich war so mit Grübeln beschäftigt, dass ich gar nicht merkte, dass die Stunde sich dem Ende näherte und ich mit meinem dämlichen Schrumpelapfel immer noch nicht weitergekommen war. »Wie ich sehe, sind Sie immer noch nicht fertig«, sagte Beate Friedrichs schrill. »Was haben Sie die letzte halbe Stunde gemacht? Geschlafen?«
    Ein paar kicherten.
    »Nein«, sagte ich. »Ich musste nachdenken.«
    Es klingelte zum Schulende. Beate Friedrichs sagte: »Die anderen können gehen. Aber Sie bleiben hier, bis Sie fertig sind.« Sie stemmte die Hände in

Weitere Kostenlose Bücher