Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
meinen Namen. Und mit diesen acht Buchstaben hatte er ein unsichtbares Band geknüpft, es legte sich um mich, ohne dass ich etwas dagegen unternehmen konnte, und mir wurde heiß im Magen, es brannte, als hätte ich kochende Suppe geschlürft. Ich drehte mich abrupt weg.
»Natascha«, wiederholte er mit dieser ernsten Stimme, verstärkte das Band zwischen uns noch einmal, wieder lief dieser heiße Schauer durch meinen Körper und für einen Moment dachte ich, er wollte mir seine Hand auf den Arm legen. Und vielleicht wäre das sogar nicht unangenehm gewesen. Aber dann sagte er den idiotischsten Satz, den ich je von ihm gehört hatte, und das will was heißen. Er sagte: »Wenn du nicht aufhörst mit der Schnüffelei, dann sage ich es deinem Vater.«
Ratsch. Band abgeschnitten. Ich war ja so blöd! Wie hatte ich nur annehmen können, dass er auf meiner Seite stand? Dass uns etwas verband? Du bist wirklich eine ganz schöne Vollidiotin, Sander. Ich blieb einen Moment ungerührt sitzen. Dann antwortete ich mit starrem Blick nach vorne: »Gut.«
Er seufzte. »Gut was?«
»Gut, ich höre damit auf.«
»Gut«, sagte er. »Endlich wirst du vernünftig.«
»Ja«, antwortete ich mechanisch. »Endlich werde ich vernünftig.«
30
Als wir nach Hause gekommen waren, stieg ich wortlos aus dem Auto.
»Natascha…«, sagte Enzo, aber ich drehte mich nicht mal mehr um. Dieser Typ war doch wirklich das Letzte. Ab jetzt wäre er Luft für mich. Ich würde ihm stoisch wie ein Shaolinmönch begegnen und ihm nie wieder irgendwas erzählen, was mit dem Fall zu tun hatte. Natürlich würde ich nicht aufhören. Niemals. Schon gar nicht, wo ich schon so weit gekommen war. Ich musste es nur geschickter anstellen, dass Enzo nichts davon mitbekam. Das Foto von den drei glücklichen Mädels hängte ich an meine Pinnwand. So konnte ich es von meiner Slackline aus sehen. Ich balancierte ein paar Mal hin und her und heute schien ich wirklich meine Mitte gefunden zu haben, denn ich fiel nicht oft runter. Danach setzte ich mich auf meinen Hängemattenstuhl, schaukelte hin und her und dachte nach. Lauras Eltern waren wirklich eine Klasse für sich. So was Knallhartes hatte ich ja noch nie erlebt. Dagegen war sogar mein grantiger Opa Curt sanft wie eine Miezekatze. Die Mutter hatte wenigstens ein bisschen Gefühle gezeigt, aber der Vater hatte die Aura eines Gletschers, in dessen Anwesenheit alles Leben tiefgefroren wird. Arme Laura! Es könnte natürlich sein, dass er vor ihrem Tod anders gewesen war. Aber als fröhlichen, netten Menschen konnte ich ihn mir trotzdem nicht vorstellen. Ich fand es auch merkwürdig, dass sie schon alles aus dem Zimmer geräumt hatten. Als ob sie es nicht erwarten konnten, sie loszuwerden. Oder als ob sie nichts aufbewahren wollten, was sie an ihr Kind erinnert. Warum? Wussten sie, dass ihre Tochter was mit dem Lehrer gehabt hatte? Schämten sie sich dafür?
»Vielleicht wollten sie einfach nur umziehen?«, schlug Justus vor, den ich zu einer kleinen Telefonkonferenz angerufen hatte.
»Kann sein«, sagte ich. Das wäre verständlich. In einem anderen Haus wären sie nicht daran gewöhnt, dass Lauras Stimme erklang, ihre Schuhe herumlagen oder der Joghurt schon wieder alle war, weil sie ihn sich stibitzt hatte. Na ja. Keine Ahnung, ob sie das alles gemacht hatte. »Andererseits habe ich sonst keine Anzeichen für einen Umzug gesehen. Und das wäre doch verdammt schnell, zwei Wochen nach ihrem Tod.«
»Was hatte ihre Mutter noch mal gesagt, was sie in dem Abschiedsbrief geschrieben hatte?«
»Dass sie ihre Eltern verlassen würde.«
»Mmhh«, grübelte Justus. »Das kann natürlich zweierlei bedeuten. Sie wollte sich umbringen…«
»Oder sie wollte abhauen!«, rief ich dazwischen. »Oh Mann, genau! Sie wollte raus aus diesem Haus, aus dieser tiefgekühlten Atmosphäre!«
Justus blieb still.
»Bist du noch dran?«
»Klar.« Er räusperte sich. »Vielleicht hat der Vater sie umgebracht, weil sie abhauen wollte.«
Mir blieb die Luft weg. Natürlich! Und jetzt hatten sie alle Spuren beseitigt. Hatten ihr Zimmer aufgeräumt, den Abschiedsbrief weggeschmissen, alles vernichtet.
»Er hätte nicht ertragen, dass sie abhaut. Und da hat er sie bestraft«, wisperte ich. »Das ist genial, Justus! Wirklich genial!«
»So bin ich eben«, scherzte er. »Soll ich vorbeikommen?«
»Ja«, sagte ich automatisch, aber dann schob ich schnell hinterher: »Nein, ich habe noch so viel zu tun. Muss jede Menge Hausaufgaben machen
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