Gefährliche Intrigen
ihrer unglaublichen Freude auch die Trauer über diesen großen Verlust.
Emma küsste das flaumige Köpfchen, und die leisen, gurgelnden Laute ihrer Tochter trieben ihr Tränen der Liebe in die Augen. Alle Schmerzen und Anstrengungen der vergangenen Stunden waren nun vergessen.
Während Mutter und Kind ihre ersten Momente zusammen genossen, schlugen die Glocken, und ein eisiger gnadenloser Wind wehte über London und brachte den Tod.
Epilog
Frankreich, Ancenice, Juni 1731
Die kleine Annabelle wankte noch etwas unsicher über den sandigen Hof. Ihr Großonkel Wilbour hatte ein wachsames Auge auf den kleinen Sonnenschein. Emma saß auf einer Bank vor dem Gutshaus und beobachtete, wie die beiden zusammen herumalberten. Noch immer konnte sie kaum glauben, wie sich ihr Leben in den letzten Jahren verändert hatte: Unerwartet schnell hatte sie ihre Kindheit hinter sich lassen müssen. Der Mord an ihren Eltern hatte aus einem behüteten Mädchen eine starke junge Frau gemacht. Doch nun, endlich, nach all der Zeit, konnte Emma die Vergangenheit hinter sich lassen und in die Zukunft blicken – in eine Zukunft hier in Frankreich, so wie Logan es sich immer erträumt hatte.
Kurz vor Annabelles Geburt, als Wilbour aus dem Gefängnis entlassen worden war, hatte Emma ihn mit einem Schreiben an Claude, den Verwalter des Weingutes, hierher geschickt.
Schon bald hatte sich Wilbour als fähiger Mann erwiesen, und zusammen mit Claude hatte er den Weinberg weit nach vorne gebracht: Nahezu der ganze englische Adel - auch der Königshof - wurden mit den exklusiven Weinen aus diesem Betrieb versorgt.
Wilbour hatte sich ein kleines, bescheidenes Häuschen am Ortsrand eingerichtet. Er besuchte seine Nichte und die kleine Annabelle beinahe jeden Tag. Ob aus Dankbarkeit oder aus Schuldgefühlen wusste Emma nicht, aber sie freute sich über seine Anwesenheit.
Als sie hier angekommen war, hatte Emma viele Stunden damit verbracht, sich Klarheit über Wilbour und seine Motive zu verschaffen. Sie hatten nächtelang geredet. Warum war Wilbour so grob zu ihr gewesen? Warum hatte sein Kammerdiener ihr hinterherspioniert und sie verfolgt? Emma wollte auf alles eine Erklärung haben, und Wilbour hatte sie ihr gegeben. Seine eigene Trauer, gemischt mit seiner großen finanziellen Not, hatten ihn so mürrisch werden lassen. Einzig seine Sorge um ihre Sicherheit war es gewesen, die ihn dazu veranlasst hatte, diese Strenge an den Tag zu legen. Dazu kam die Scham, in einem Teil seines eigenen Hauses keine Möbel mehr zu haben und kaum mehr Personal beschäftigen zu können. Er hatte nicht gewusst, wie er sie hätte schützen sollen. Nach ihrem Vorwurf, er habe etwas mit den mysteriösen Umständen zu tun, hatte er damals selbst Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass seine Frau Alvina ihm ihr gesundheitliches Gebrechen nur vorgetäuscht hatte. Zuerst hatte er geglaubt, sie würde sich in seinem Weinkeller, der früher einmal als Unterschlupf für Schmuggler gedient hatte und von zwei Seiten aus zugänglich war, mit einem Liebhaber treffen. Doch als dann der Hund gestorben und seine Nichte verschwunden war, hatte er im Blick seiner Frau den Hass erkannt, den sie schon so lange in sich getragen hatte.
Nach diesem bewegenden Gespräch hatte Emmas Onkel lange dagesessen und hemmungslos geweint. Er gab sich die Schuld am Tod seines Bruders und an dessen Familie. Emma hatte ihn umarmt und getröstet.
»Lieber Onkel, wir beide müssen mit diesem Schmerz leben, aber wir dürfen den Schmerz nicht unser Leben bestimmen lassen. Wir haben immer noch uns! Von nun an werden wir nach vorne blicken und unser Glück finden.«
Wilbour umarmte seine Nichte, und keiner der beiden hatte seither noch einmal über die schrecklichen Ereignisse gesprochen.
Das glockenhelle Lachen ihrer Tochter riss Emma aus ihren Gedanken. Barfuß schlenderte sie über den Hof und hob Annabelle auf ihren Arm. Wie jeden Abend ließ sie sich mit ihr auf der Sandsteinmauer nieder und blickte in den Sonnenuntergang. Dabei summte sie ein Lied, dass ihre Mutter immer für sie gesungen hatte.
Die kleine Belle kuschelte sich, müde und erschöpft vom vielen Spielen, an die Brust ihrer Mutter und schlief rasch ein. Mit einem stummen Nicken verabschiedete sich Wilbour. Als er vom Hof ritt, hob er zum Gruß die Hand, und Emma lächelte ihn an. Sie wusste, dass sich ihr Onkel seit einigen Tagen mit einer Witwe aus dem Dorf traf und hoffte, er möge hier sein wahres Glück
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