Gefaehrliche Tiefen
sich in der Angelleine verfangen hatte. Sie durchsuchte den restlichen Inhalt des Seesacks. Kein Messer.
Das Bild des Tauchermessers auf der Polizeistation kam ihr in den Sinn.
Unmöglich!
»Wahrscheinlich hast du es verlegt, als wir die arme Frau ins Boot gezogen haben«, vermutete J . J.
Das schien eine logische Erklärung zu sein. Bei der Rettungsaktion war es hoch her gegangen. Aber in letzter Zeit hatte es viele merkwürdige Zufälle gegeben: das Messer in der Polizeistation, die Halbbrüder Ricardo und Tony Diaz, ihr Führer Guerrero, der sich als Neffe des Direktors der Darwin Station entpuppte, die seltsame Art, wie Carlos Santos in Puerto Ayora Eduardo mit der Faust angestupst hatte, und dann noch Eduardos Reaktion, als er heute Ayala begegnet war. »J . J., du kannst doch ein bisschen spanisch. WeiÃt du, was
primo
heiÃt?«
»
Primo
?« J . J. runzelte die Stirn. »Das bedeutet âºCousinâ¹.«
Sam warf einen Blick in Ayalas Richtung. War er Eduardos Cousin, der bei der Boje 3942 gefischt hatte? War er ein Fischwilderer? Wusste er, um wen es sich bei ihr handelte? Er schaute sie an und lächelte.
»Wirst du heute noch fertig?« Mit verschränkten Armen stand J . J. da und sah aus, als würde sie mit dem Fuà wippen, was unwahrscheinlich war, denn sie trug Flossen.
»Ãh â¦Â« Sollte sie etwas sagen? Oder litt sie allmählich unter Verfolgungswahn?
»Ich habe schon alles überprüft.« J . J. hob die Druckluftflasche und warf sie Sam zu, die sie fing und sich die Gurte der Tarierweste über die Schultern streifte.
J . J. wandte sich an Guerrero. »Ihr folgt uns?«
»Falls notwendig. Da unten herrschen immer starke Strömungen. Haltet euch nah an den Felsen.«
»Machen wir. Wenn ihr seht, dass sich unsere Luftblasen zu weit entfernen, kommt bitte nach.«
Er deutete einen militärischen Gruà an. »Sie sind der Boss.«
»Lass uns runtergehen, Sam.« J . J. setzte sich mit dem Rücken zum Meer auf den Rand des Boots und lieà sich nach hinten fallen.
Letzter Tauchgang auf der Liste
, sagte sich Sam. Ayala wirkte ziemlich harmlos. Eduardo konnte mehrere Cousins haben. Die beiden Männer hatten J . J. und sie meilenweit übers Wasser transportiert. Sie hätten sie längst über Bord werfen können, falls sie das vorhatten. AuÃerdem wusste Eduardo, wo sie hingefahren waren. Sie würde auch diesen Tauchgang hinter sich bringen und heute Abend die letzten beiden Artikel schreiben. Das warâs dann mit
Out There
und den Galapagosinseln. Sie drehte sich um und gab Guerrero die Kamera.
»Viel Glück«, sagte er.
Sam saugte die Lungen noch einmal voll frischer Luft, nahm die Kamera und befestigte sie an ihrer Weste, atmete dann aus und lieà sich ebenfalls fallen. Langsam bekam sie Routine, obwohl sie immer noch jedes Mal, wenn sie untertauchte, darüber nachdachte, was alles passieren könnte. Jeder Tauchvorgang war wie ein Besuch auf einem fremden Planeten. Unter der Wasseroberfläche verwandelten die Sonnenstrahlen das Blau-grün in ein Lindgrün. Einzelne Strahlenbündel stachen in die Tiefe wie Suchscheinwerfer in den Abendhimmel. Rechts von ihr, nur wenige Meter entfernt, zog ein Schwarm Stachelmakrelen seine Kreise. Sehr viel weiter weg trieben silberfarbene Luftblasen nach oben. J . J. hatte sich bereits drei Meter unter und mindestens zwölf Meter östlich von ihr an die Arbeit gemacht. Sie schwamm über ein langes Felsband hinweg und drückte dabei fleiÃig die Knöpfe ihres kleinen Taschencomputers. Die Szene kam ihr bekannt vor. Unwillkürlich musste sie an Dan denken.
Konzentrier dich
, ermahnte sie sich.
J . J. sah hoch. Ihre Atemmaske reflektierte das Sonnenlicht. Sie winkte ihr zu.
Komm runter
. Plötzlich wurde Sam von der Strömung erfasst und rechts an J . J. vorbeigerissen.
Mist!
Sie trieb schnell ab. Sie drehte sich um und strampelte sich nach unten, sodass sie ganz in der Nähe von J . J. einen Felsen zu packen bekam. Man hatte ihr zwar beigebracht, unter Wasser nichts anzufassen, aber wenn das bedeutete, dass sie in den Ozean hinausgefegt wurde, würde sie sich wie eine Klette an den Felsen festklammern.
Solange sie sich dicht über dem zerklüfteten Lavaboden hielten, lieà sich mit der Strömung zurechtkommen. Rote Seesterne hafteten an dem Gestein. Sie überquerten eine Art Canyon. Sam hätte sich damit
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