Gefaehrliche Tiefen
erledigen. Erfahrene Taucher tauchten ständig allein. Da sie nicht viel Erfahrung hatte, würde sie besonders aufmerksam sein. Der Lärm, den der Motor des Dingis machte, dröhnte so laut durch das Wasser, dass sie keine Schwierigkeiten haben würde, es wiederzufinden. Während sie tiefer sank, holte sie kräftig Luft und zwickte sich in die Nase, um den Druck auszugleichen. Ihre Brille beschlug. Sie ruckelte ein bisschen an ihr herum, um die Saugwirkung zu lösen, und lieà etwas Wasser hineinflieÃen, das den Beschlag wegspülte. Dann drückte sie die Brille wieder fest auf das Gesicht und atmete durch die Nase aus, um ein Barotrauma zu verhindern.
Die ersten sechs Meter blieb die Sicht schlecht. Die Strahlen der Spätnachmittagssonne drangen durch das Wasser, doch der Algenteppich war so dicht, dass Sam gerade mal zwei Meter weit sehen konnte. Es war, als würde man durch Gelatine schwimmen, nur weitaus unheimlicher. Sie könnte den ganzen Tag in diese grüne Suppe starren und trotzdem kein Meereswesen entdecken, das auf sie lauerte â egal ob klein oder groÃ, harmlos oder gefährlich. Fische konnten Bewegung mit ihren Sensoren wahrnehmen. Sie dagegen hatte nur Augen und Ohren, und beides war in dieser Umgebung so gut wie nutzlos.
Du hast immer noch dein Gehirn. Bleib ruhig, tu dein Bestes. Tu es für Dan.
Nachdem sie ihre Lungen voll Luft gesogen hatte, atmete sie langsam aus. Luftblasen stiegen durch den Algennebel nach oben.
Los, Zing.
Mit dem Gesicht nach unten folgte sie dem steil abfallenden Felsen bis in eine Tiefe von achtzehn Metern. Zumindest war hier unten die Sicht besser â sie konnte sogar Fische sehen, die etwa sechs Meter entfernt schwammen. Sam hatte beschlossen, dass man ein kleines Eiland wie Ola Rock am besten untersuchte, indem man es in einer bestimmten Tiefe umkreiste, dann die ganze Prozedur etwas höher wiederholte und sich so langsam zur Wasseroberfläche vorarbeitete.
Laut Dans Notizen musste Ola Rock beste Nahrungsmöglichkeiten für Seegurken und Schalentiere bieten. Langsam schwamm sie um die Insel herum und zählte und identifizierte alles, so gut sie konnte. Dans Palmtop zusätzlich zu ihrer Kamera mitzunehmen wäre so gut wie unmöglich gewesen. Stattdessen hatte sie sich eine kleine Schiefertafel samt Stift an ihr linkes Handgelenk gebunden. Gelegentlich schrieb sie etwas auf die Tafel, wozu sie die Kamera loslassen und von ihrer Weste herabhängen lassen musste. Es war eine seltsame Vorgehensweise, aber etwas Besseres war ihr nicht eingefallen.
Nach den ersten zehn angstvollen Minuten empfand sie die Erfahrung, allein zu tauchen, eher als angenehm. Niemand beobachtete sie oder beurteilte ihre Fähigkeiten. Sie atmete aus, sank ein paar Zentimeter, atmete ein und stieg leicht. Je mehr sie sich entspannte, desto besser konnte sie bewegungslos im Wasser schweben. Endlich kapierte sie, wie man dem Auftrieb widerstand.
Der schwarze Vulkanfelsen ging in eine leuchtend gelb-grüne Ebene voll dichter Algen über, die nur gelegentlich von olivfarbenen Seetangbändern sowie gelben und orangefarbenen Schwämmen durchzogen wurden. Sam machte Fotos, um sie an die NPF zu senden. Die Gegend wirkte wie ein idealer Futterplatz. Hunderte von Seesternen in unterschiedlichsten Farben glitten zusammen mit Gruppen von Diadem-Seeigeln durch die Algen. Seegurken zählte sie allerdings nur vier, auÃerdem drei Hummer und neun Krabben. Ein kleiner Schwarm â sie kam auf acht â punktierte Doktorfische knabberte an den Algen herum und bewegte sich immer ein Stück vor ihr her. Sie hielt an, um ein Foto von einem spiralförmigen, fuchsiafarbenen Band zu schieÃen, das an dem Fels verankert war. Sam wusste, dass der leuchtend rote Knoten die Eier irgendeines Wesens waren, aber sie würde sie erst in ihrem Bestimmungsbuch nachschlagen müssen.
Obwohl es nicht gerade das beste Motiv darstellte, machte sie ein paar Fotos von der fast leeren grünen Ebene, die sich vor ihr erstreckte. War diese Kargheit das Resultat illegaler Ãberfischung? Da sie hier noch nie gewesen war, lieà sich das so nicht herausfinden. Einer der Wissenschaftler der NPF würde Vergleiche mit früher anstellen müssen.
Sie hatte sich die Unterwasserwelt immer als absolut ruhig vorgestellt. Stattdessen hörte sie nicht nur ihren eigenen Atem, sondern vernahm auch eine regelrechte Melodie aus klatschenden und gurgelnden
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