Gefaehrliche Verstrickung
von wo aus er die Gläubigen zum Gebet rief. Es war eine ergreifende Szene, die sich Philip hier bot; die brütende Hitze, die scharfen Gerüche, eine Mischung aus Schweiß und Gewürzen, die Männer in den wallenden Gewändern, die Stirn dem Boden zugeneigt. Die Frauen zogen sich in der Zwischenzeit diskret in den Schatten, so vorhanden, zurück. Sie mochten im stillen beten, doch es war ihnen nicht gestattet, dem Aufruf zum Gebet in der Öffentlichkeit zu folgen. Mit ihnen warteten auch einige europäische Geschäftsleute ergeben das Ende der Prozedur ab.
Während Philip die Szene auf sich wirken ließ, begann er Fahid zu verstehen. Die Menschen hier ergaben und unterwarfen sich nicht nur den herrschenden Traditionen. Sie machten sie sich bereitwillig zu eigen und hielten sie aufrecht. Das Leben in diesem Land kreiste um Religion und um die - männliche - Ehre. Wolkenkratzer mochten sich in den Himmel erheben, Bildung jedem Bürger zugänglich gemacht werden, doch am grundsätzlichen Wesen dieser Menschen würde sich nichts ändern.
Philip drehte sich um und ließ seinen Blick zum Palast schweifen. Die Gärten waren nur als diffuse Farbtupfer in der Ferne sichtbar. Die grünen Dachziegel leuchteten in der Sonne. Irgendwo hinter diesen Mauern war Adrianne. Würde der Ruf zum Gebet sie ans Fenster locken?
Das Gerät, das Adrianne in der Tasche trug, war hochempfindlich. Für dieses kurze Treffen hatte sie ihr übriges Werkzeug gut versteckt im Zimmer zurückgelassen und nur den kleinen Verstärker, den bronzenen Schlüssel und eine Feile mitgenommen. Aus Gründen der Vorsicht hatte sie auch auf ihre schwarzen Hosen und den Pullover verzichtet. Sollte man sie heute nacht hier ertappen, dann zumindest in ihren langen Gewändern.
Sie benutzte den unterirdischen Tunnel, den Weg von den Frauengemächern zum Hauptpalast, den schon Generationen von Frauen vor ihr genommen hatten. Einige vielleicht freudig und freiwillig, andere, weil sie muss ten. Aber immer mit einem bestimmten Ziel vor Augen, so wie jetzt auch sie, dachte Adrianne. Ihre Sandalen huschten geräuschlos über den abgenutzten Boden. Wie in alten Zeiten wurde der Gang auch heute noch mit Fackeln erleuchtet. Ihre kleinen, im Luftzug züngelnden Flammen und die herumwandernden Schatten entbehrten nicht einer gewissen Romantik.
Zu einer anderen Stunde mochte ihr hier vielleicht ein Mann begegnen, ein Prinz oder der König selbst. Aber um diese Stunde lag der Palast in tiefem Schlummer, und sie war allein.
Adrianne machte sich Sorgen um Philip. Es war gut möglich, dass seine Räume bewacht wurden. Entdeckte man ihn zur falschen Zeit am falschen Ort, so konnte es sein, dass man ihn fortbrachte, noch ehe sie ein Wort miteinander hätten wechseln können. Sie selbst muss te damit rechnen, geschlagen oder in die Frauengemächer verbannt zu werden, doch war dies ein verhältnismäßig geringer Preis, gemessen an dem Ziel, das sie verfolgte.
Der Gang endete in den Privatgemächern des Königs, der jetzt in einem der Räume schlief. Mit Sicherheit allein - denn welche Frau er auch immer für diese Nacht gewählt haben mochte, sie war bereits in ihr eigenes Bett zurückgeschickt worden, nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatte.
Adrianne konnte ihren Vater förmlich riechen; es war der schwache Duft nach Sandelholz und Räucherwerk, den sie stets mit seiner Person verbunden hatte. Und sie fragte sich, wie oft wohl ihre Mutter in die Gemächer zitiert worden war, wie eine Hündin, die man zum Decken bringt.
Einen Augenblick lang war sie versucht, die Tür zu seinem Schlafzimmer aufzureißen, ihn aus seinen süßen Träumen zu wecken und ihm all das zu sagen, was ihr auf der Seele lastete, alles, was in all den langen Jahren als bittere Saat der frühen Erlebnisse in ihr aufgegangen und gewachsen war. Aber die Befriedigung, die sie daraus ziehen mochte, würde nur eine momentane sein, würde verfliegen, sobald das letzte ihrer Worte verhallt war. Und sie wollte mehr, viel mehr als nur augenblickliche Vergeltung.
Der Schichtwechsel der Wächter fand erst eine Stunde vor Sonnenaufgang statt. Adrianne warf einen Blick auf die Leuchtziffern ihrer Uhr und schätzte ab, wie viel Zeit ihr noch blieb. Genügend, stellte sie fest. Mehr als genug.
Der endlos lange Flur lag still und dunkel vor ihr. Den Grundrißplan vor Augen, suchte sie sich den Weg in den anschließenden Gebäudeflügel. Vor der Tür zur Schatzkammer angekommen, kniete sie nieder und begann mit ihrer
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