Gefaehrliche Versuchung
nach dem Türknauf griff.
Eine ganze Weile saß sie nur da. In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Er hatte recht. Sie war zu weit gegangen, und es war ihr heimgezahlt worden. Sie hob die Hände und bemerkte, dass auch sie zitterten. Aber sie wusste nicht genau, warum. Wut? Angst? Verlangen? Wie sollte sie die Empfindungen auseinanderhalten?
Sie musste hier weg. Dieser verrückte Wettbewerb zwischen Harry und ihr würde eskalieren, und das wäre keine Lösung. Sie hatte keine Antworten für ihn, und er hatte, wie es schien, auch keine für sie. Offensichtlich konnte er ihr nicht erklären, warum jedermann dachte, dass sie zu den verdammten Löwen gehörte. Er würde nur weiter ihr Feuer schüren und ihren Körper erregen, bis irgendetwas Schlimmes passierte. Und Kate hatte in ihrem Leben schon genug Schlimmes durchmachen müssen.
Mit einem zittrigen Atemzug stützte sie sich mit den Ellbogen auf dem Tisch ab und ließ den Kopf in ihre Hände sinken. Bis jetzt hatte sie erlaubt, dass Harry die Führung übernahm. Das musste sich ändern. Sie musste hier raus, und niemand konnte ihr dabei helfen.
Zuerst nahm sie sich einen Augenblick, um die Kerzen und den Feuerstein zu verstecken. Wie ein verhungerndes Kind, das etwas zu essen bekommen hatte, konnte sie nicht davon ausgehen, dass sie noch mehr bekommen würde. Neben dem grauen Teppich zog sie eine Bodendiele hoch, schob das Päckchen mit ihrem Geheimvorrat darunter und rückte den Tisch darüber. Dann suchte sie das Zimmer nach Werkzeugen, Waffen, Schwachstellen ab.
Harry hatte alles sehr gut vorbereitet. Das Bett hing an Seilen von der Decke, und die Kommode war ausgeräumt – bis auf den Staub. Und auch wenn ein Schlag auf den Kopf mit einer Schublade überraschend sein mochte oder auch eine Platzwunde hinterlassen würde, so würde es doch nicht ausreichen, um jemanden aufzuhalten. Es gab keine Laken auf dem Bett. Nur eine zerfetzte erbsengrüne Brokatdecke lag auf der Matratze. Der Stoff war so fadenscheinig, dass er schon bei einem scharfen Blick zu reißen drohte. Im Zimmer gab es nicht einmal einen Spiegel, den man hätte zerschlagen können.
Sie ging Schritt für Schritt durch den Raum und sah sich um. Sie erwartete nicht, bei ihrer Suche erfolgreich zu sein – Harry war zu gründlich gewesen. Deshalb war sie umso überraschter, als sie eine halbe Stunde später etwas fand.
Die Fensterläden. Sie waren zugenagelt worden, aber die Angeln konnten mit ein bisschen Ziehen und Zerren aus der Wand gelöst werden. Sie musste sie nur herausstemmen. Dann könnte sie aus ihrem Gefängnis fliehen. Sie hoffte, dass Harry noch nicht das Efeu abgeschnitten hatte, das seit Ewigkeiten an den alten Steinmauern emporrankte.
Nun brauchte sie einen Plan. Sie musste warten, bis es Nacht war und die Wachen vor ihrer Tür so müde waren, dass sie unaufmerksam wurden. Was Harry nicht wusste, war, dass ihr eigener Landsitz, Eastcourt Hall, nur knapp vierzehn Meilen von hier entfernt war. Wenn sie es bis nach Marlborough schaffte, könnte sie dort die Kutsche nach Bath nehmen und wäre in null Komma nichts zu Hause. Schlimmstenfalls würde sie laufen.
Doch was würde sie bis dahin tun?
Sie strich ihr Kleid glatt und nahm auf dem klapprigen kleinen Stuhl Platz. Gedankenverloren kratzte sie das weiche Kerzenwachs von dem ramponierten alten Tisch. Sie würde sich durchsuchen lassen müssen. Sie hatte es die ganze Zeit über gewusst. Aber zuerst war sie zu panisch gewesen, um klar denken zu können, und dann zu wütend. Sie hatte sogar darüber nachgedacht, sich von Harry höchstpersönlich durchsuchen zu lassen.
Warum nicht ? , dachte sie und genoss den Geschmack von ehrlicher Empörung. Warum sollte sie nicht so lange ausharren, bis er gezwungen wäre, sie selbst zu entkleiden? Warum sollte sie nicht vor ihm stehen – würdevoll und stumm –, während die Scham ihn überkam? Sollte er doch der Bösewicht sein. Sollte er sich für seine Taten der Verachtung der anderen Menschen stellen. Sobald sie seine Erregung erkennen würden, wüssten sie, wie selbstlos sein Handeln war.
Sie vergeudete viel zu viel Zeit an diese Vorstellung. Aber sie schien den Gedanken, dass Major Sir Harry Lidge, der Held der Schlachten auf der Iberischen Halbinsel, der Heilige von Salamanca, endlich einen Dämpfer bekam, nicht beiseiteschieben zu können.
Sie stand auf und ging im Zimmer auf und ab. Nein, sie konnte es nicht tun. Nicht, weil sie Harry nicht verletzen wollte. Das würde sie
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