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Gefaehrlicher Liebhaber - Jagd auf Jack the Ripper

Gefaehrlicher Liebhaber - Jagd auf Jack the Ripper

Titel: Gefaehrlicher Liebhaber - Jagd auf Jack the Ripper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Norton
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noch etwas anderes steckte. So viel Zeit hatte sie nie zuvor in dieser Suppenküche verbracht.
    „Mein Schwesterlein … zuerst die Armen retten und dann ran an die Wahlurnen, nicht wahr?“
    „Aber natürlich!“, erhob sie ihre Stimme. „Glaub mir, Richard. In hundert Jahren wird man sich nicht mehr vorstellen können, dass es Zeiten gab, wo Frauen nicht wählen durften.“
    Er schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Und deine Suppenküchler dürfen auch ihr Kreuzchen machen, wie? Dann haben wir die Sozialisten auf dem Hals!“ Ein breites Lachen wanderte über sein Gesicht, doch Lizzy errötete heftig. Sie brauchte, bis sie sich gefangen hatte.
    „Sozialisten an der Regierung … ach, Richard. Manchmal hast du keine schlechte Fantasie. Was machst du da übrigens?“ Sie reckte sich, als könne sie so auf den Schreibtisch sehen. Dennoch erschien ihm ihr Interesse eher wie ein Ablenkungsmanöver.
    „Ein paar Briefe an alte Freunde.“
    „Oh, das ist schön. Wenn ich einen von ihnen kenne, darfst du Grüße dazuschreiben.“
    Mit diesem Satz beschwor Lizzy ungewollt Bilder von vergangenen Sommertagen hinauf. Ferientage, die er mit Freunden an dem See verbrachte, der zu ihrem Landsitz in Warwickshire gehörte. An gewaltige, rauschende Eichen im Sommerwind und den Duft der Rosen und Levkojen, der über die weiten Rasenflächen herangeweht kam. Eine plötzliche Sehnsucht engte seine Brust, und er wünschte sich einen Menschen, der die Erinnerungen mit ihm zu teilen vermochte. Ließ er die Gefährten durch seine Gedanken wandern, die jene Sommer mit ihm verbrachthatten, so wollte er eigentlich keinen einzigen mehr sehen. Er erinnerte sich, wie sie heute waren, zerknüllte den Brief, der unter seiner Feder ruhte, und warf ihn in den Papierkorb.
    „Was ist?“, fragte Lizzy und klang etwas besorgt.
    „Ach, nichts.“
    „Na komm schon, deiner kleinen Schwester kannst du’s doch sagen …“ Sie hatte sich erhoben und war barfüßig, den nun ein wenig zu langen Rock raffend, zu ihm herübergekommen. Sacht legte sie ihren Arm um seine Schultern und schmiegte ihre Wange an seine.
    „Du bist verliebt. Stimmt’s?“ Sie sah an ihm vorbei und er schüttelte den Kopf.
    „Verliebt ist der falsche Ausdruck, schätze ich“, sagte St. John und fühlte sich verloren und schäbig. Wenn es irgendeinen Menschen gab, dem gegenüber er aufrichtig sein konnte, war es Lizzy. Aber was er ihr zu sagen gehabt hätte, war so unglaublich, so abgrundtief schlecht, so verwirrend und abstoßend, dass er es nicht mal ihr anvertrauen konnte.
    „Kannst du mir mehr sagen?“ Ihre Stimme hatte einen tiefen Ernst angenommen.
    „Ich fürchte, nein … es tut mir leid.“
    Sie nickte und dabei streifte ihn ihr aufgelöstes Haar.
    „Wenn es so weit ist, bin ich da. Ja?“ Er erwiderte ihr aufmunterndes Lächeln und nickte.
    „Ich danke dir.“
    Da ging die Tür auf und ihre Mutter trat in einem ihrer neuen Empfangskleider ein. Es war mehr als imposant. Aus weinrotem Samt mit Streifen und Blattmustern und mit einem schmal nach unten verlaufenden Rock beeindruckte es durch einen schürzenförmigen Überrock aus roter Seide, die nach hinten zu einer kunstvollen Turnüre drapiert war, die in einer eingelesenen Schleppe auslief. Die eng anliegenden Ärmel endeten kurz unterhalb der Ellenbogen in cremefarbenem Tüll.
    „Mama … Wie siehst du so schön aus!“, rief Lizzy ein wenig übertrieben.
    Ihre Mutter lachte und machte eine wegwerfende Handbewegung.
    „Visite … Ihr Lieben. Ihr wisst doch. Mittwoch von eins bis sechs ist Visite und ich erwarte einige Herrschaften. Ihr bleibt doch?“
    Damit hatte St. John gerechnet.
    „Äh, ja … an sich gerne …“, suchte er unbeholfen nach einer Ausrede.
    „Also ich habe heute Nachmittag Dienst. Wir besuchen Kinder im Arbeitshaus und verteilen Essen“, erklärte Lizzy mit fester Stimme. Sie hatte sich ihre Ausrede offensichtlich schon früher zurechtgelegt.
    „Oh, nein. Dann sitzen nur Alte beisammen und wir hätten doch sicherlich viel Freude an einem bisschen jungen Blut.“
    St. John kannte seine Mutter allzu gut und wusste, dass sie gerne mit ihrem Alter kokettierte. Dies wohl vor allem deshalb, weil man es ihr nicht ansah. Noch heute amüsierte er sich über einen Besucher, der sich vor einiger Zeit einen festen Platz im Herzen der Hausherrin erworben hatte, als man ihm Lizzy vorstellte und er daraufhin meinte: „Fein. Das wäre also die Schwester. Aber wo sind die Kinder, von denen Sie mir

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