Gefährliches Geheimnis
Leibnitz.«
»Sehr wohl!«, sagte Ferdi, und seine Augen strahlten vor
Bewunderung.
Der Rest des Tages bestand zum größten Teil darin, Menschen vorsichtig zu fragen und mehr oder weniger direkt abgewiesen zu werden. Als Monk in seinem neuen Quartier ins Bett ging und in holprigem Deutsch »Vielen Dank« sagte, fühlte er sich verloren und der Sache nicht gewachsen. Er lag im Dunkeln und war sich deutlich bewusst, dass Hester nicht bei ihm war. Sie war in London und vertraute darauf, dass er ein Stück Wahrheit mitbringen würde, mit dem man Kristian verteidigen konnte. Und Kristian lag wach auf seinem schmalen Gefängnisbett. Vertraute er auch darauf, dass Monk etwas fand, den Schlüssel zu der Tragödie? Oder kannte er diesen bereits und vertraute mit gleicher Inbrunst darauf, dass Monk orientierungslos in einer fremden Stadt herumlief, wo die Sprache ein Wirrwar von Lauten war, wo die Menschen eilig ihren Geschäften nachgingen oder vornehm-müßig umherspazierten, aber dazugehörten und verstanden.
Verdammt! Er würde die Vergangenheit aufspüren! Er würde etwas finden, ob es etwas bedeutete oder nicht. Zumindest konnte Max Niemann ihm sagen, wie Kristian damals gewesen war. Aber bevor er sich ihm näherte, wollte er die gleichen Geschichten aus dem Mund anderer Menschen hören, um einschätzen zu können, ob Niemanns Bericht der Wahrheit entsprach. Was er brauchte, war ein weiteres Mitglied der Gruppe von vor dreizehn Jahren, jemanden von Kristians Liste.
Schließlich schlief er mit einem festen Plan im Kopf ein und wachte nicht auf, bis es heller Tag war und er einen Bärenhunger hatte.
Seine Wirtin servierte ihm unter freundlichem Nicken und Lächeln ein ausgezeichnetes Frühstück mit sehr viel mehr reichhaltigem, süßem Feingebäck, als ihm lieb war, dafür aber den besten Kaffee, den er je getrunken hatte. Er sagte ein ums andere Mal: » Danke schön « und erwiderte ihr freundliches Lächeln, und dann machte er sich mit einem frisch geschrubbten und sehr eifrigen Ferdi auf den Weg. Ferdi hatte den ganzen Abend und einen Großteil der Nacht damit verbracht, Berichte über den Aufstand zu lesen, und dabei ein Durcheinander von Tatsachen und Geschichten in sich aufgesogen, die bereits die Patina und die Überhöhung von Legenden angenommen hatten. Er erzählte alles mit großer Begeisterung weiter, während er und Monk nebeneinander die Straße entlang in Richtung des großartigen Parlamentsgebäudes und der dahinter liegenden, kahlen Gärten gingen.
»Es fing eigentlich Mitte März an«, erklärte Ferdi ihm.
»Es gab bereits einen Aufstand in Ungarn, und der dehnte sich bis hierher aus. Natürlich ist Ungarn riesig, wissen Sie? Ungefähr sechs oder sieben Mal so groß wie Österreich! Alle Adligen und Geistlichen mussten sich im Landhaus einfinden. Das ist in der Herrengasse«, er zeigte nach vorne,
»da drüben. Ich kann es Ihnen zeigen, wenn Sie möchten. Jedenfalls scheint es, als hätten sie alle möglichen Reformen gefordert, insbesondere Pressefreiheit und die Abdankung von Fürst Metternich. Studenten, Gewerbe- treibende und hauptsächlich Arbeiter erzwangen den Zutritt ins Gebäude. Gegen ein Uhr schossen italienische Grenadiere in die Menge und töteten mindestens dreißig ganz normale Menschen. Ich meine, sie waren keine Krimi- nellen oder Arme oder Verrückte wie die französischen Revolutionäre neunundachtzig, im letzten Jahrhundert.«
Als sie in die Auerstraße kamen und einige Momente warten mussten, bis es eine Lücke im Verkehr gab, starrte
er Monk an.
»Das war die wirklich große Revolution«, fuhr er fort.
»Unsere war innerhalb eines Jahres vorbei.« Er lächelte fast entschuldigend.
»Das meiste ist wieder so wie vorher. Natürlich ist Fürst Metternich weg, aber er war sowieso vierundsiebzig und war schon vor Waterloo dabei!« Seine Stimme wurde höher, als könnte er kaum begreifen, dass jemand so lange lebte.
Monk unterdrückte ein Lächeln.
»Dann wurden überall in der Stadt Barrikaden errichtet«, fuhr Ferdi fort und passte seine Schritte Monk an. »Aber erst die Tatsache, dass Menschen umgebracht wurden, veranlasste die Revolutionäre, sich dafür einzusetzen, dass Metternich ins Exil geschickt wurde.« Ein mitleidiges Lächeln huschte über sein junges Gesicht.
»Ich nehme an, das ist ein bisschen hart, wenn man so alt ist. Jedenfalls«, fuhr er fort, »im Mai vertrieben sie den ganzen Hof aus Wien – Kaiser Ferdinand und die anderen. Sie gingen alle nach
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