Gefährliches Verlangen
weiterhin Herr der Lage bliebe und seinen klaren Verstand behalten würde, dann wäre er schon sicher, doch was, wenn ihn seine Eifersucht erneut packte und er sich nicht mehr unter Kontrolle hätte? Was, wenn er Simon, seinem treuen Freund, seinem Bruder Fürchterliches antäte? Reichte es nicht schon aus, dass er seine Frau begehrte? Und das alles nur, weil er nicht dazu in der Lage war, seine Gefühle zu kontrollieren. Und obendrein noch die Tatsache, dass seine Religion keinerlei Verständnis für seine tiefen Gefühle aufbrachte. Nein, Rafael war nicht besonders gläubig, aber sogar er kannte die zehn Gebote. Gegenwärtig war Simon noch sicher vor ihm, die nächsten fünf Minuten aber vielleicht schon nicht mehr. Das durfte er auf keinen Fall riskieren. Er durfte es nicht so weit kommen lassen, wenn er jetzt noch die Möglichkeit dazu hatte, dagegen vorzugehen. Wer wisse schon, wie lange er noch bei klarem Verstand bliebe und wann er endgültig aussetzte. Das hieß für ihn im Klartext: Abschied nehmen. Er musste zurück nach London. Schon viel zu lange hatte er diese Entscheidung vor sich hergeschoben; die ihn nunmehr erbarmungslos eingeholt hatte. Er hatte zwar nun die Entscheidung getroffen, doch ihm durfte kein Fehler bei deren Ausführung unterlaufen. Er musste auf Simon unbedingt überzeugend wirken. Wenn er fluchtartig aufbrach, würde Simon nur Verdacht schöpfen, am Ende sogar wissen, wer Rafael in die Flucht geschlagen hatte. Katelyn! Also musste er mit Bedacht vorgehen. Und so beschloss Rafael, während des gemeinsamen Frühstücks nebenbei zu erwähnen, dass es an der Zeit wäre, ihnen beiden den nötigen Freiraum zu lassen, den jedes frisch verheiratete Pärchen bräuchte. Niemand wünschte sich ein Anhängsel wie ihn an seiner Seite, wenn er frisch verliebt war. Ja, das klang vernünftig. Zumindest in seinen Augen. Und seine Auszeit hätte ohnehin schon zu lange gedauert, schließlich habe er ja auch noch einen Job zu erledigen und in London warteten zahlreiche Verpflichtungen auf ihn. Irgendwie so oder so ähnlich musste er es Simon unterjubeln. Und zwar musste er so überzeugend sein, dass Simon auch wirklich davon überzeugt war und ihm nicht schon an der Nasenspitze ansehen würde, dass er schamlos log.
Es war für Rafael ein äußerst schwerer Schritt, das Esszimmer zu betreten, dennoch schaffte er es – er wusste selbst nicht wie – dabei eine fröhliche Miene aufzusetzen.
Simon und Katelyn waren nicht seh r gesprächig. Das Missgeschick von letzter Nacht lag in der Luft wie ein alles umhüllender Nebel und legte sich wie ein erdrückender Schleier auf das Gemüt jedes einzelnen von ihnen. Dennoch ließ sich Rafael nichts anmerken und würgte sich sein Frühstücksei bei heiterer Miene buchstäblich hinein, obwohl er es am liebsten sofort wieder ausgespuckt hätte. Eigentlich war ihm ganz schön zum Kotzen zumute.
Simon räusperte sich. Die ganze Situation war ihm ziemlich unangenehm. Irgendwie schämte er sich sogar ein Stück weit. Rafael war seine Familie und wer präsentierte sich schon gerne in dieser Form vor ihr. Eigentlich niemand. Das war mehr als peinlich. „Das mit gestern, das…“, setzte er schon an, doch er wurde unterbrochen.
„Ich habe nichts gesehen. Also gibt es auch nichts zu ber eden.“ Rafael biss in sein Brot und lächelte fröhlich – fast schon zu fröhlich – in die Runde. Und es fiel ihm sogar verdammt schwer, aber dennoch hatte er sich gut im Griff. Er war eben ein guter Schauspieler. Manchmal.
Simon verstand den Wink sofort. Er war sichtlich erleichtert, dieses Thema nicht mit seinem Bruder ausdiskutieren zu müssen. Rafael wollte seine missliche Lage zumindest nicht ausschlachten oder sich gar lustig darüber machen.
Katelyn saß nur stumm an ihrem gewohnten Platz, versuchte sich ebenfalls ein Lächeln abzuringen, während sie ihr Frühstücksei aufschlug. Dennoch lag eine gewisse Spannung in der Luft. Alle drei konnten es nicht leugnen, auch wenn sie nicht darüber sprachen. Es war nur belangloses Gerede, das den Raum gelegentlich mit Worten füllte.
Als Simon seine Zeitung zuschlug – ein deutliches Zeichen dafür, dass die Zeit für ein ausgewogenes Frühstück für ihn nun vorbei war – ließ Rafael den Groschen fallen. „Ich fliege heute zurück nach London. Es wird Zeit, dass ihr auch mal unter euch seid.“ Gut gemacht, Rafael, lobte er sich insgeheim. Er hatte die ganze Zeit über fröhlich gelächelt, seine Stimme klang nicht besonders
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