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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
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Lyannen hatte noch nie solche Bäume gesehen, üppig mit Blättern bewachsen und wohlgeformt, doch sie gefielen ihm. Nachdem sie so lange Zeit finstere, feindselige Wälder durchquert hatten, schienen sie nun endlich einen angenehmen Ort erreicht zu haben.
    »Der Schein trügt«, sagte Ventel leise, als könnte er die Gedanken seines Bruders lesen.
    Lyannen wandte sich um, aber Ventel schien eher zu sich selbst gesprochen zu haben und fügte nichts weiter hinzu. Und Lyannen fragte auch nicht nach. Seit seiner Verletzung und Heilung hatte es keinen Zweck mehr,Ventel Fragen zu stellen.Wenn er deutlicher werden wollte, dann tat er das von sich aus. Ansonsten konnte man ihn mit keiner Frage zum Reden bewegen.
    Sie marschierten weiter. Alle waren schweigsam geworden, ganz besonders Ventel. Lyannen vergaß bald die Worte seines Bruders. Es war so angenehm, durch den kühlen Wald zu laufen, begleitet nur vom Gesang der Vögel, die sich ebenfalls nicht
darum zu kümmern schienen, dass es bald Herbst wurde. Die Sonne stand hoch am Himmel, ihre goldenen Strahlen drangen durch die üppigen Zweige und die Blätter wiegten sich leise raschelnd im sanften Wind.
    Und ganz plötzlich war es vollkommen still.
    Die Vögel schwiegen und auch all die anderen kleinen Geräusche des Waldes verstummten. Ein Kälteschauer kroch langsam Lyannens Rückgrat empor und er zuckte unruhig mit den Schultern. Er fühlte sich beobachtet, schutzlos, als ob er nackt und unbewaffnet einem tödlichen Gegner gegenüberstände. Ventel an der Spitze des Zuges blieb stehen und gab den anderen ein Zeichen, ebenfalls anzuhalten. Sie gehorchten und keiner sprach, obwohl es offensichtlich war, dass ihm jeder gerne Fragen gestellt hätte. Doch allen war klar, dass dies nicht der richtige Zeitpunkt dafür war.
    Ventel schob die Kapuze seines Mondseidenumhangs vom Kopf, die er bis jetzt tief in die Stirn gezogen hatte, und schaute sich um. Die Sonne funkelte auf seinen blonden Locken. Die Gefährten beobachteten ihn, wie er schnell von einer Seite der Schlucht zur anderen blickte und die Lippen zusammenpresste. Dann sprach er leise, ohne sich umzudrehen: »Bewegt euch nicht. Keinen Schritt weiter. Es könnte sonst euer letzter sein.«
    Lyannen hätte gerne nach dem Grund gefragt, aber er hatte noch nicht einmal den Mund aufgemacht, da vernahmen sie eine helle Frauenstimme aus den Bäumen, die belustigt und ein wenig abschätzig Ventel widersprach: »Du kannst dich bewegen, ganz wie es dir beliebt, hübscher Blondschopf, und es wird keineswegs dein letzter Schritt sein.Weder für dich noch für die anderen. Du solltest sie aber lieber darauf hinweisen, dass sie sich nicht gegen uns wehren sollten, denn dann wären wir ebenfalls gezwungen, unsere Waffen einzusetzen.« Hier bekam ihre Stimme einen bedrohlichen Unterton.
    Lyannen blickte sich verwirrt um. War das hier ein Zauberwald?
Was geschah hier eigentlich? Und von woher kam die Frauenstimme?
    Dann schaute er auf und sein Herz machte vor Schreck einen Satz. In den Wipfeln der Bäume um sie herum waren wie aus dem Nichts etwa dreißig Frauen aufgetaucht. Sie schienen zwischen sechzehn und fünfunddreißig Jahren alt zu sein und waren in Weiß und Violett gekleidet. Ihre Füße zierten vergoldete Sandalen, Goldkettchen schmückten Hals und Handgelenke, und sie hatten ihre Augen dick mit Kajal umrandet, um sie zu betonen. Fast alle hatten lockiges schwarzes, rotes oder braunes Haar, blond schien keine von ihnen zu sein.Was Lyannen allerdings am meisten beunruhigte, war die Tatsache, dass sie alle ihre langen Bogen aus dunklem Holz gespannt hatten und mit Pfeilen auf sie zielten, deren silberne Spitzen tödlich in der Sonne funkelten.
    »Was zum Henker …«, begann Lyannen mehr zu sich selbst. Doch dann verstummte er.
    Das Mädchen, das ihnen am nächsten war, kletterte anmutig vom Baum herab, während ihre Begleiterinnen weiter mit ihren Bogen auf die Gefährten zielten. Sie baute sich lächelnd vor Ventel auf. »Übergebt uns eure Waffen!«, befahl sie und streckte eine Hand aus.
    Lyannen erwartete, dass Ventel nun sein Schwert zücken und das Mädchen zu einem Zweikampf herausfordern würde. Doch er hatte sich getäuscht. Betont gelassen löste Ventel sein Schwert vom Gürtel, ließ es vor der jungen Frau zu Boden fallen, gefolgt von seinem Dolch. Danach wandte er sich zu den Gefährten um. »Übergebt eure Waffen!«, wiederholte er. »Und zwar alle!«
    Lyannen konnte es nicht fassen. Er umklammerte mit der

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