Gefaehrten der Finsternis
Bruder«, rief Tyke.
»Nenn mich nicht Bruder!«, schrie Lucidious und schlug von der Seite zu, doch Tyke parierte den Hieb mühelos. »Du solltest mich Herr nennen.«
Tyke ging zum Gegenangriff über und trieb Lucidious einige Schritte zurück. »Du hast Angst, was, mein Herr und Gebieter?«
»Angst? Was? Vor dir?« Lucidious schnellte vor und schlug noch einmal von rechts zu, aber Tyke konnte sich gerade noch ducken. »Ich spiele doch nur ein wenig, du Grünschnabel!«
Mit einer halben Drehung landete Tyke einen gut gezielten Schlag, den Lucidious gerade noch parieren konnte. »Es ist gefährlich, mit dem Feuer zu spielen«, ermahnte er ihn und wich etwas zurück, um einem weiteren Ausfall seines Bruders zu entgehen.
»Na, dann machen wir eben Ernst!« Lucidious warf sich nach vorn und erneut trafen sich ihre Klingen mit einem dumpfen Klirren. »Verabschiede dich vom Leben, Elbenfreund!«
Tyke wich dem Hieb geschickt aus, täuschte nach links an, Lucidious ging in die Falle und warf sich zu dieser Seite. Blitzschnell richtete sich Tyke auf, griff die andere Seite seines Bruders an und suchte sich dort eine ungedeckte Flanke, in die seine Klinge mühelos hineinglitt. Lucidious unterdrückte einen Schrei und presste eine Hand auf die Wunde. Das nutzte Tyke, um erneut zuzuschlagen, und seine Waffe hinterließ einen langen bluttriefenden Schnitt an der Schulter. Noch ein Schlag mit der flachen Klinge auf Lucidious Finger, und das Schwert flog ihm aus den Händen, während er nach Luft ringend auf den Boden stürzte.
»Nicht so schnell, du Verräter«, sagte Tyke beinahe unhörbar und setzte ihm die Klinge an die Kehle.
Lucidious schluckte, als er die Waffe so nah auf sich gerichtet sah. »Tyke«, stöhnte er. »Das kannst du doch nicht tun. Das kannst du nicht. Nicht deinen eigenen Bruder.«
»Du hast mir doch selbst gesagt, ich soll dich nicht so nennen«, erwiderte Tyke. »Hast du etwa Angst vor dem Tod? Widerlicher Verräter! Dein Leben ist weniger wert als das des schäbigsten Kobolds. Du hast in kurzer Zeit so viele erbärmliche Schandtaten begangen, Lucidious. Du hast die Ewigen und das Bündnis verraten. Du hast Maranee gezwungen, dich zu heiraten. Du hast unseren Vater und unseren Bruder getötet. Nenn mir nur einen guten Grund, warum ich dich jetzt nicht töten soll.«
»Tyke«, wiederholte Lucidious und hob seine Augen flehend zum Bruder empor. Dann legte er eine Hand an seine Brust, als fühlte er den Tod nahen. »Du hast recht,Tyke, du hast ja so recht! Es stimmt, ich bin verachtenswert. Ich habe so viele Fehler begangen! Das merke ich jetzt. Und ich schäme mich dessen, was ich getan habe.« In seinen Augen standen Tränen und die Hand
mit seinem Schwert sank kraftlos an den Gürtel und die verwundete Seite. »Aber ich kann mich ändern. Ich kann noch das Böse wiedergutmachen, das ich getan habe,Tyke. Das kann ich, wenn du mir dabei hilfst. Du bist so gut, bist es immer schon gewesen. Hab Mitleid mit einem armen Mann. Schließlich bin ich immer noch dein Bruder,Tyke.«
»Du widerst mich an«, erklärte Tyke angeekelt. »Du lügst bis zuletzt und verlangst noch von mir, dass ich dir glaube! Ausgerechnet ich! Nach allem, was du mir angetan hast, mir und Deramion, und all den anderen! Wie könnte ich dir jetzt noch glauben, Lucidious? Wie könnte ich dir vergeben? Du bist nicht würdig, ein Mirnar zu sein. Du bist nicht würdig, der Sohn deines Vaters zu sein oder der Bruder eines Mannes wie Deramion! Du widerst mich an. Auch jetzt, in diesem Moment.« Er seufzte auf, während er Lucidious mit eiskaltem Blick betrachtete, ohne die Klinge von seinem Hals zu nehmen. »Aber mit einem hast du dennoch recht. Du bist immer noch mein Bruder. Und wegen jemandem wie dir möchte ich mich nicht mit dem Makel des Brudermordes beflecken.« Tyke senkte sein Schwert und Lucidious entfuhr ein Seufzer der Erleichterung. »Steh auf! Das Volk soll beschließen, was mit dir geschehen wird. Ich überlasse ihm die Entscheidung.«
Ein Lächeln breitete sich auf Lucidious harten Zügen aus und seine Augen leuchteten gerührt. »Ich … ich danke dir«, stammelte er dann. »Ich wusste, dass du so sein würdest. Ich wusste, dass du ein gutes Herz hast. Ich werde dir mein Leben lang dankbar sein.« Lucidious stöhnte. Seine Hand tastete verstohlen den Boden ab und suchte, bis sie den Griff seines Schwertes fand, doch Tyke starrte ihm unbewegt ins Gesicht und bemerkte es nicht. Lucidious stöhnte wieder. »Ich kann nicht
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