Gefaehrten der Finsternis
bestimmt keine Reisenden aus purem Vergnügen an, wie das unsere gemeinsamen Feinde, die Goblins, tun. Doch in diesen finsteren Zeiten nisten sich leider viele bösartige Wesen in unserem schönen Wald ein, und unsere Aufgabe ist es, ihn gegen ihre Anwesenheit zu verteidigen. Wenn die Ewigen Freunde der Natur sind und mit ihr im Einklang leben, sind sie bei uns willkommen.«
»Aber, sag mir doch«, fragte Lyannen, »wer seid ihr eigentlich?«
Mit einem eleganten Satz sprang das Mädchen von dem Baum oder vielmehr dem Waldgolem. Hinter ihr tauchten zwischen den Zweigen weitere weibliche Gestalten von smaragdgrüner Hautfarbe auf. Auf den ersten Blick schien es unter ihnen keine Männer zu geben.
»Wir sind die Wächterinnen des Waldes«, verkündete das Mädchen stolz. »Uns gab es schon, als alles begann, viele Jahrtausende vor den Ersten, und uns wird es auch noch geben, wenn alles endet und sich niemand mehr an die Ewigen und ihre Geschichte erinnert. Unsere Aufgabe ist es, den Wald vor Angriffen von außen zu beschützen, aber ihn gleichzeitig auch im Zaum zu halten, damit er nicht über die Stränge schlägt. Wenn die hier so handeln dürften, wie es ihnen gefällt«, sagte sie und zeigte auf die angriffslustigen Golems, »glaubt ihr etwa, dann stünde die Welt noch?«
Lyannen antwortete ihr nicht. Die Waldgolems waren so riesig und beunruhigend und wirkten so gefährlich. Und er fürchtete, dass sich inmitten des Waldes noch schrecklichere Wesen verbergen könnten. »Hast du einen Namen?«, fragte er schließlich.
Das Mädchen nickte. Sie sah sehr jung aus, und Lyannen fragte sich verwirrt, wie alt sie wohl wirklich sein mochte. »Ich heiße Sylvianarlamistrydian«, erklärte sie. »Aber vielleicht ist es einfacher, wenn ihr mich nur Sylvian nennt.«
»Ich bin Lyannen, Sohn von Vandriyan von der Schwarzen Lilie, dem Letzten der Ersten. Und meine Begleiter sind alle tapfere Edelleute der Ewigen.«
»Du gehörst aber nicht zu den Ewigen«, bemerkte Sylvian, während ihr Blick auf seinen rabenschwarzen Haaren verweilte. »Jedenfalls nicht ganz.«
»Ich bin ein Halbsterblicher«, sagte Lyannen leise und senkte beschämt den Kopf. »Ein Herkunftsloser.«
»Das ist vielleicht gar nicht von Übel«, bemerkte Sylvian geheimnisvoll. »Oft sind die Halbblütigen ihren edelsten Ahnen
überlegen. Sie wissen, was Demut bedeutet, und lernen aus ihren Erfahrungen. Doch es ist ungewöhnlich, Ewige so weit von ihren Städten entfernt hier mitten im Wald anzutreffen.«
»Uns treibt eine sehr wichtige Mission, Herrin«, erklärte Ventel ehrerbietig. »Es würde jetzt zu lange dauern, die gesamte Geschichte zu erzählen, doch es ist eine Frage von Leben und Tod.«
»Ihr werdet alle Zeit der Welt haben, mir eure Geschichte zu erzählen, wenn wir erst an einem ruhigeren und sicheren Platz angekommen sind«, sagte Sylvian. »Die Nacht ist noch lang, und ich bin bereit, euch anzuhören und im Rahmen meiner Möglichkeiten zu helfen. Steigt auf die Golems, wir kehren in unsere Zuflucht zurück.«
Lyannen spürte eine seltsame Erregung, als Sylvian ihm die Hand reichte und ihm half, sich neben Drymn und Validen in die Zweige der Golems zu setzen. Rechts von ihm hatten Elfhall, Ventel und Dalman neben einer Wächterin Platz genommen, die ihre Haare zu einem langen Zopf zusammengenommen trug.
»Fehlt auch keiner?«, fragte Sylvian und überprüfte, dass sie alle saßen.
Dalman nickte ihr zu, dass alles in Ordnung sei, und richtete das Gepäck auf seinem Schoß zurecht.
Sylvian hielt sich an den Zweigen fest und gab den Gefährten ein Zeichen. »Luardan«, rief sie dann, »setz sie in Bewegung!«
Das Mädchen mit dem Zopf gab dem Golem die Sporen. »Vorwärts,Wald!«
Darufhin lösten sich die Wurzeln des Golems langsam aus dem Erdreich. Das Wesen, das aussah wie ein Riesenbaum, der sich aus eigener Kraft bewegte, machte kehrt und trottete dann mit langen Schritten gemächlich in den Wald hinein. Schritt für Schritt drangen die Golems immer tiefer in das Dickicht der Zweige vor. Es war ein großartiger, beeindruckender Anblick: Bäume, die sich zwischen die Bäume drängten, als wäre ein Teil des Waldes selbst in Bewegung geraten. Und Lyannen saß mittendrin, an der
Seite eines Wesens, das älter war als alles, was er kannte, und das ihn gleichzeitig faszinierte und verwirrte. Sylvian saß rechts von ihm, rittlings inmitten der Zweige auf dem Golem und lenkte das riesige Ungeheuer, als wäre es ein ganz normales Pferd.
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