Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gefaehrtin Der Daemonen

Titel: Gefaehrtin Der Daemonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marjorie M. Liu
Vom Netzwerk:
streifte mir die Handschuhe über, beugte mich vor und durchsuchte den Schreibtisch. In der ersten Schublade fand ich eine unverschlossene Metallkassette. Ich öffnete sie. Eine Schachtel mit Patronen, aber keine Waffe.
    In der Schublade darunter lag ein gerahmtes Foto von Badelt. Es zeigte ihn neben einer kleinen Chinesin mittleren Alters, die ihren Arm um seine Hüfte schlang und so strahlend und glücklich lächelte, dass es Steine hätte erweichen können. Sie war ungewöhnlich schön. Die meisten Frauen, die so aussahen wie sie, bestaunte man nur auf der Kinoleinwand oder auf den Seiten von Magazinen. Badelt schien genauso glücklich zu sein. Er grinste zwar nicht strahlend, aber seine Augenlider kräuselten sich vor Zuneigung. Das stand ihm gut. Jedenfalls sah er so besser aus als tot. Ich fragte mich, ob die Chinesin seine Ehefrau gewesen war. Falls ja, dann war es kein gutes Zeichen, wenn er das Foto in der Schublade seines Schreibtischs verwahrte.
    Ich hörte, wie die Jungs am Aktenschrank miteinander murmelten, und legte das Foto des Paars wieder in die Schublade zurück. Mehr war nicht drin. Dann wühlte ich etwas in den Papieren auf dem Tisch. Etwas ganz zuunterst erregte meine Aufmerksamkeit. Es war eine Zeitung von gestern. Ich zögerte, schlug sie auf und überflog die Seiten. Der Wind wurde stärker und rüttelte an dem Fenster hinter mir. Dek und Mal hörten auf zu summen.
    Ich drehte mich um, sah aber nichts Ungewöhnliches. Zee und die beiden anderen durchwühlten immer noch den Aktenschrank. Ich konzentrierte mich auf die Zeitung.
    Es war, wie Suwanai gesagt hatte, eines dieser kleinen Chinatown-Käseblätter. Ich sah sie ständig, vor allem wenn Grant und ich zum Mittag- oder Abendessen in die Gegend kamen. Eine Ausgabe wurde nur auf Chinesisch gedruckt, aber das hier war die
englische Version, ein dünnes Blättchen, in dem lokale Nachrichten, Politik und Ankündigungen abgedruckt waren, von denen die meisten mit der asiatischen Gemeinschaft zu tun hatten.
    Es war durchaus logisch, dass Badelt diese Lektüre interessant fand. Sein Büro lag in Chinatown. Die Annahme lag nahe, dass der größte Teil seiner Auftraggeber ebenfalls aus dieser Gemeinschaft stammte.
    Ich hätte es fast übersehen. Ich las rasch, blätterte schnell um, weil ich das Gefühl hatte, Zeit zu verschwenden. Mein Blick glitt über ein Foto am unteren Rand von Seite vier. Ich wollte schon umblättern, als ich erstarrte.
    Das Foto war alt, aber scharf. Laut Unterschrift war es 1957 aufgenommen worden. Vorn in der Mitte stand ein junger Weißer, der groß und stark wirkte, auf eine zerzauste Art attraktiv, und eine sonnengebräunte, gesunde Männlichkeit ausstrahlte, die man im Zusammenhang mit der modernen männlichen Spezies selten sieht. Er trug einfache Kleidung und wirkte fröhlich-schmutzig. Hinter seiner rechten Schulter sah ich einen gigantischen steinernen Buddha in einem zerklüfteten Tal, und an dessen Fuß weiße Zelte. Der Mann lehnte mit der Hüfte an einem Tisch, der zwischen den Felsen im Sand aufgestellt worden war, und auf dem kleine Artefakte lagen: Tonscherben und winzige Metallstücke.
    JACK MEDDLE, stand unter dem Foto. ARCHÄOLOGE.
    Ich hatte jedoch nur Augen für die Frau links neben ihm. Sie war schlank, trug eine schlichte Bluse, eine lange Hose und hohe Stiefel. Außerdem Handschuhe. Und hatte ein Tuch locker um den Hals geknotet. Sie hatte feine Gesichtszüge, starke Wangenknochen, volle Lippen und makellose Haut. Ihr Haar war zurückgebunden. Ihre Augen wirkten beeindruckend; aus ihnen sprach eine trotzige, ungezähmte Stärke, die aus dem Foto zu dringen schien. Wagemutig und nachdrücklich. Die Augen einer Kämpferin. Einer Jägerin.

    Meiner Großmutter.
    Meine Lungen schmerzten, als ich mich zwang zu atmen. Ich fühlte, wie sich kleine Leiber um mich drängten, und lehnte mich zurück, als Zee und die anderen einen Blick auf das Foto warfen.
    »Oh«, sagte Zee sehr leise.
    Ich brauchte einen Moment, bis ich meine Stimme wiederfand. »Was ist das?«
    »Seidenstraße«, sagte er, während sich die anderen vielsagend anblickten. »Nach dem großen Bums.«
    Der große Bums. Die Bombe. Meine Großmutter war während des Zweiten Weltkriegs in Hiroshima gewesen. Ich hatte niemals den Grund erfahren, wusste nur, dass sie Glück gehabt hatte. Die Bombe fiel um 09:15 morgens. Die Sonne stand am Himmel. Die Tätowierungen, die Jungs hatten sie am Leben erhalten, ihr Gesicht bedeckt und für sie geatmet, bis

Weitere Kostenlose Bücher