Gefährtin Der Finsternis
würde niemand sie hören. »Ich muss mit Euch reden.« Er beugte sich noch näher heran, seine Wange streifte ihre, und sie konnte ihn atmen hören, ihr Haar wie ein Hund beschnuppern spüren. »Ich …« Sie spürte das, was sein Mund sein musste, ihr Ohr streifen, und sonderbarerweise, ohne Vorwarnung, wurden ihre Knie schwach. »Ich brauche Eure Hilfe«, schloss sie, rang um die Festigkeit ihrer Stimme.
Der Duft ihrer Haut war unerträglich, wie in seiner Faust zerdrückte Geißblattblüten, und ihr Haar duftete nach Frühlingsregen. Er ließ eine Hand ihren Arm hinauf und über die Schulter zu ihrer Kehle gleiten, ihre Haut war wie Seide und warm vor Leben, sein Daumen war sanft auf ihren Puls gedrückt. Aber langsam kehrte sein Verstand zurück, so weit das bei vollem Tageslicht möglich war. Er erinnerte sich allmählich daran, wer sie war und warum er bei ihr war. Dieses Gewölbe war ihr Zuhause, ein Raum unter ihrem Schloss. Sie war Isabel, das Mädchen, das den Schlüssel zu seiner Erlösung besaß. Aber was tat sie hier unten? Er musste sie doch gewiss irgendwie gewarnt haben. Sie musste doch bestimmt wissen, dass sie ihm fernbleiben musste. »Nein«, antwortete er, seine Stimme wie das Knurren eines Wolfes. »Ich kann Euch nicht helfen.«
»Schlaft Ihr?«, fragte sie leise, kaum lauter als ein Flüstern, der Klang seiner Stimme zerstreute ihren letzten Wagemut. »Schlaft Ihr noch?« Er klang wie ein Mensch in Trance, der unter einem tödlichen Zauber stand, und weder der distanzierte, heilige Mann, dem sie gestern Abend begegnet war, noch der heitere, verträgliche Ritter, der heute Morgen mit ihr gesprochen hatte, hätten so geklungen oder sie so bedroht oder hätten bei ihr solch seltsame Empfindungen bewirkt, beängstigend und sehnsüchtig zugleich. Die vernünftige Frau, als die sie sich stets gekannt hatte, wollte, dass er wieder zur Vernunft käme und sie sofort losließe. Aber da war noch ein anderer, neuer Bestandteil ihrer selbst, von dessen Existenz sie bisher nichts gewusst hatte, eine Fremde, die den Mann, der sie festhielt, sowohl fürchtete als auch begehrte, die bei der Vorstellung zitterte, was er als Nächstes tun könnte, und sich dennoch danach sehnte, es zu spüren, was auch immer es sein mochte.
»Ja«, antwortete er und berührte ihren Mund, eine Hand noch immer an ihrer Schulter, um sie an der Wand festzuhalten, ein Knie zwischen ihre gedrückt. »Ich träume.« Seine Vampirsinne konnten ihr Gesicht auch im Dunkeln sehen, konnten erkennen, wie sie in rosigem Glühen errötete. »Ihr hättet nicht hierherkommen sollen.« Er zog die Wölbung ihrer Wange bis zum Kinn hinab nach, ihren Blutfluss die dünne Haut ihrer Kehle hinab. Ihr Körper streifte seinen, während sie keuchte, ihre weichen Brüste an seine Brust gepresst, durch ihr Gewand köstlich warm, und jeder Muskel seines Körpers sehnte sich danach, sie zu besitzen, sie in seinen Armen zu zerdrücken. »Ihr müsst fortgehen.«
»Aber …« Niemand hatte sie jemals zuvor so berührt, als wäre sie etwas Kostbares, das man sowohl besitzen als auch verehren könnte. Vielleicht träumte sie auch. »Aber ich kann nicht«, antwortete sie, während sie die Stimme ihrer Vernunft wiederfand. »Ihr müsst mich loslassen.«
Sein Mund war ihrem nun so nahe, dass er die Wärme ihrer Lippen auf seinen spüren konnte, aber sie konnte ihn im Dunkeln nicht sehen. Sie konnte nicht wissen, was sie festhielt. Wenn sie ihn gesehen hätte, das dämonische Leuchten in seinen Augen gesehen hätte, die Zähne gesehen hätte, die er an seiner Zunge spürte, hätte sie geschrien, wäre von Entsetzen verzehrt worden. Das Verlangen, das sie empfand, war, wie ihm seine Dämonensinne beharrlich vermittelten, nur eine Illusion. »Ja.« Er verbarg ihr wunderschönes Gesicht mit seinen Händen und schloss einen Moment die Augen, während er seine Stirn an die ihre lehnte. Dann ließ er sie los.
Sofort war der Zauber, den er ihr irgendwie auferlegt und der ihr den Verstand geraubt hatte, gebrochen. Nun fühlte sie sich nur noch verlegen. »Schlaft gut, Cousin«, murmelte sie, drängte an ihm vorbei und wankte zur Tür, wobei sie über die verdammte, herabgefallene Kerze stolperte.
Sie betrat den kleinen Gang, schlug die Tür hinter sich zu und lehnte sich dagegen, als wollte sie irgendein schreckliches Ungeheuer dahinter gefangen halten. Orlando kam gerade die Treppe herab, und als er sie sah, wirkte er ebenso erschrocken, wie sie sich noch einen
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